Aura Heydenreich
"Ich würde mir wünschen, dass aktuelle fundamentale Fragen der Physik in weiteren kulturellen Diskursen präsent sind und tiefgehend gesellschaftlich reflektiert werden: gemeinsam mit Philosophen, Geistes- und Kulturwissenschaftlern und Literaten."
Die Literaturwissenschaftlerin Aura Heydenreich (FAU Erlangen, DPG-Mitglied seit 2011) hat seit ihrer Promotion Physik zum zentralen Thema ihrer Forschung gemacht – u.a. mit zahlreichen Beiträgen zum Konzepttransfer zwischen den Fachkulturen, oder zu schreibenden Physikern von Kepler bis Kip Thorne. Aura Heydenreich ist Privatdozentin am Department für Germanistik und Komparatistik der Universität Erlangen-Nürnberg, Gründerin und Leiterin des Forschungszentrums ELINAS, das sich dem Austausch von Literatur und Naturwissenschaften widmet und seit 2019 Präsidentin der European Society for Literature, Science and the Arts (SLSA Europe). Für 2021 wurde sie als Visiting Max Kade Distinguished Professor an der University of Illinois Urbana-Champaign, College of Liberal Arts & Sciences eingeladen.
Welches ist der schönste Konferenzort, den Sie kennen?
Villa Vigoni am Comer See, Italien
Welchen Bezug haben Sie zur DPG?
Ich bin Literaturwissenschaftlerin, jedoch sind die Wechselwirkungen zwischen Literatur und Physik der Themenschwerpunkt meiner Forschung. Ich bin 2011 in die DPG eingetreten, um an DPG-Tagungen teilnehmen zu können und mich über die aktuellen Forschungsfelder und Forschungsprobleme der Physik zu informieren.
Welches Angebot der DPG schätzen Sie am meisten?
Das breite Angebot an DPG-Frühjahrstagungen und das Physik-Journal.
Welches war die letzte DPG-Veranstaltung, an der Sie teilgenommen haben?
Zuletzt habe ich an der Berliner DPG-Feier zum 175. Jahrestag seit der Gründung teilgenommen.
Welche Aufgabe sehen Sie für die Physik in der Gesellschaft von morgen?
Ich würde mir wünschen, dass die interdisziplinäre Forschung so ausgeweitet und vertieft werden kann, dass aktuelle fundamentale Fragen und Forschungsprobleme der Physik in weiteren kulturellen Diskursen präsent sind und tiefgehend gesellschaftlich reflektiert werden: gemeinsam mit Philosophen, Geistes- und Kulturwissenschaftlern und Literaten.
Mit welchem Thema beschäftigte sich Ihre Abschlussarbeit?
Meine Promotion beschäftigte sich mit der Art, wie die Themenkomplexe der Thermodynamik, der Kybernetik und der Quantentheorie im Spätwerk des Dichters Günter Eich in literarische Verfahren umfunktioniert werden.
Woran arbeiten Sie heute?
Meine Habilitationsschrift mit dem Titel: „Physica Poetica - Zählen und Erzählen. Theorie und Praxis der Prozesse der Interformation zwischen Literatur und Naturwissenschaft 1600 – 2016“ widmet sich dem Versuch einer theoretisch-methodologischen Grundlegung der Beziehungen zwischen Literatur und Naturwissenschaft, verbindet dafür kultursemiotische, wissenschaftsphilosophische und narratologische Zugänge und ergänzt die Bandbreite vorliegender Ansätze zum Konnex ‚Literatur und Wissen‘ um einen neuen Ansatz: den der zeichen- und erzähltheoretisch informierten und physiktheoretisch reflektierten Interformation.
Ich analysiere zeichen- und erzähltheoretische Aspekte in Texten, in denen die theoretische Physik auf Verfahrensweisen der Literatur zurückgreift (Johannes Kepler, Albert Einstein, Kip Thorne). Andererseits beleuchte ich die verstehensrelevanten physiktheoretischen Aspekte in der Analyse jener literarischen Texte (E. T. A. Hoffmann, Durs Grünbein, Richard Powers, Dietmar Dath, Thomas Lehr), die auf Konzepte, Verfahren und Formrelationen der theoretischen Physik zurückgreifen. Mit diesem Ansatz der Interformation fokussiere ich aus historischer Perspektive die Schwellenepochen um 1600, um 1800, um 1900 und um 2000. Die Arbeit folgt jedoch nicht der literarhistorischen Chronologie, sondern konzentriert sich auf bestimmte Problemkomplexe der Physik in den Bereichen der Astronomie, der Optik, der speziellen und allgemeinen Relativitätstheorie, der Theoretischen Astrophysik sowie der Quantenfeldtheorie, die alle jeweils in der kulturellen Semantik bestimmter Epochen historisch virulent werden.