Gertrud Zwicknagl

"Man lernt bei der Beschäftigung mit der Physik, wie man einerseits aus oft unvollständigen und fehlerbehafteten Informationen verantwortungsvoll Schlüsse ziehen kann, ohne dabei andererseits die Grenzen der Aussagefähigkeit aus dem Auge zu verlieren."

Gertrud Zwicknagl (DPG-Mitglied seit 2003) hat als Professorin für Theoretische Physik der TU Braunschweig wegweisende Arbeiten über die Physik stark korrelierter intermetallische Verbindungen und speziell deren Supraleitung geschrieben. Als eine der Ende vorigen Jahrhunderts noch wenigen deutschen Physik-Professorinnen war sie für Gremien-Mitwirkung stark nachgefragt und hat dort hart und verantwortungsvoll mitgearbeitet, u. a. als gewählte Fachkollegiatin der DFG und in amerikanischen und japanischen Review Boards sowie in der jüngsten Vergangenheit als Koautorin der Promotionsstudie der Akademien der Wissenschaft und im Executive Committee der EPS. Dabei setze sie sich immer in besonderem Maß für Frauen in der Physik ein – und das mehr durch Taten als durch Worte.

 

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Wenn ich nicht Physikerin geworden wäre...

…hätte ich Romanistik und Geschichte studiert. Ich habe mit einem Doppelstudium Romanistik und Physik (Diplom) begonnen. Physik war ja kein übliches „höhere-Töchter“-Fach. Nach dem Vordiplom habe ich mich dann getraut, mich ganz auf die Physik zu konzentrieren.

 

Welches ist der schönste Konferenz-Ort, den Sie kennen?

Zu den schönsten Erinnerungen zählen die ersten Tagungen, an denen ich teilnehmen durfte, nämlich die DPG-Frühjahrstagung 1976 in Freudenstadt mit den Vorträgen im Raum über der örtlichen Feuerwehr und ein Workshop 1976 in Bad Honnef. Wie sehr sich die Zeiten geändert haben, kann man daran sehen, dass ich bei dem Workshop in Bad Honnef von meinen männlichen Kollegen getrennt unter Aufsicht der damals noch dort wohnenden alten Damen untergebracht wurde, um den Anstand zu wahren.

 

Was bewegt Sie neben Physik und Arbeit?

Für mich sind gesellschaftliches Engagement und ehrenamtliche Tätigkeit wichtig. Zentrale Themen sind für mich z. Z. die europäische Integration im Hinblick auf die Physik und die Rolle der Grundlagenwissenschaften für nachhaltige Entwicklung. Dafür engagiere ich mich im Rahmen der European Physical Society.
Ansonsten haben sich meine Freizeitaktivitäten im Lauf der Zeit verändert. Früher habe ich engagiert Klavier gespielt. Als unsere Kinder klein waren, war das Freizeitprogramm natürlich auf sie abgestimmt. Jetzt lese ich ziemlich viel. Meine ganz spezielle Leidenschaft sind „Bandes dessinées“, von denen ich inzwischen eine kleinem Bibliothek habe.

 

Welchen Bezug haben Sie zur DPG?

In Bezug auf die DPG bin eine Spätberufene, ich bin erst seit 2003 Mitglied. Als ich studierte, hatte die DPG vergleichsweise wenig Mitglieder und vermittelte auch noch den Eindruck, eine Gesellschaft vor allem für ältere Männer zu sein. Das hat sich aber grundlegend geändert. Dank vieler neuer Mitglieder ist die DPG eine große, junge, bunte und dynamische Gesellschaft geworden, für die ich mich gerne in verschiedenen Funktionen engagiert habe und auch weiter einsetzen werde.

 

Welches Angebot der DPG schätzen Sie am meisten?

Ich schätze sehr die vielfältigen Möglichkeiten zum wissenschaftlichen Austausch sowie die Bereitstellung zuverlässiger Informationen zu wichtigen aktuellen Themen und Zukunftsfragen.
Ein besonderes Highlight sind für mich die Frühjahrstagungen, die sich im Laufe der Jahre in verschiedenen Fachgebieten zu den zentralen Tagungen in Europa entwickelt haben.
Besonders beeindruckt mich das Engagement und die Flexibilität der Geschäftsstelle bei der Organisation der verschiedenen Tagungen, die in ihren recht unterschiedlichen Strukturen und Akzenten die Vielfalt in den physikalischen Fachkulturen widerspiegeln.


Warum sollten sich PhysikerInnen verstärkt in den politischen Diskurs bzw. Alltag einbringen?

Die typische Herangehensweise der Physik kann ganz allgemein bei schwierigen komplexen Problemen eine gute Lösungsstrategie liefern. Ich denke dabei vor allem an das für die Physik typische Lösen von Problemen in Hierarchien. Außerdem lernt man bei der Beschäftigung mit der Physik, wie man einerseits aus oft unvollständigen und fehlerbehafteten Informationen verantwortungsvoll Schlüsse ziehen kann, ohne dabei andererseits die Grenzen der Aussagefähigkeit aus dem Auge zu verlieren.

 

Woran arbeiten Sie heute?

Mein zentrales Thema ist die Theorie emergenter Quantenmaterialen. Dies sind Systeme, deren Verhalten man nicht durch das Betrachten einzelner Komponenten verstehen kann, bei denen also das Ganze mehr ist als die Summe seiner Teile.

 

Sagen Sie uns, was Sie uns schon immer sagen wollten.

Die vergangenen Monate haben gezeigt, wie wichtig die Zusammenarbeit in Europa ist. Ich möchte daher mit einem ganz persönlichen Appell schließen: Bitte setzen Sie sich verstärkt für Europa und europäische Belange ein. Als Mitglied der DPG hat man dazu viele Möglichkeiten auf unterschiedlichen Ebenen – sei es über die EPS, der die DPG als Mitgliedsgesellschaft angehört oder auch über die direkten Kontakte der DPG zu den Partnergesellschaften. Man lernt dabei Europa in seiner kulturellen Vielfalt kennen – es lohnt sich.

 

Bild: © Privat