Lehramtsstudium Physik verbessern
Die Deutsche Physikalische Gesellschaft (DPG) und die Konferenz der Fachbereiche Physik (KFP) veröffentlichten im Mai 2023 eine Studie zur Situation des Lehramtsstudiums Physik in Deutschland, für die über 1.000 Lehramtsstudent:innen und die Fachbereiche Physik von 48 Hochschulen befragt worden sind. Auf Grundlage dieser und früherer Studien, nach Konsultation einer erweiterten Expertenrunde sowie im Licht von Erkenntnissen aus der physikdidaktischen Forschung erhebt die DPG nun elf konkrete Forderungen, um das Lehramtsstudium Physik zu verbessern.
Das Lehramtsstudium muss zur Priorität werden!
Die Lehramtsausbildung erfährt nicht die Wertschätzung, die ihrer Bedeutung entspricht. Auf allen Ebenen – von der Politik über die Universitäten bis hin zu den Fachbereichen – muss die Lehramtsausbildung mit Vorrang behandelt werden. Insbesondere müssen die an Universitäten bestehenden forschungsorientierten Anreizsysteme zu Gunsten eines Engagements im Lehramtsstudium umgestaltet werden. Beispiele können Freisemester zur Vorbereitung neuer lehramtsspezifischer Lehrveranstaltungen, akademische Ratsstellen und Lehrkräfte im Hochschuldienst zur Verzahnung der Fachwissenschaft mit der Fachdidaktik und Schule sowie zusätzliche Tutor:innen speziell für die Bedürfnisse der Lehramtsstudent:innen sein. Dies muss sich auch in Zielvereinbarungen, Leistungszulagen und der expliziten Allokation von Stellen und Ressourcen niederschlagen.
Lehrer:innen müssen ein Lehramtsstudium absolvieren!
Das reguläre Lehramtsstudium mit anschließendem Referendariat muss weiterhin die Grundlage für den Lehrerberuf bleiben. Quer- und seiteneinsteigende Lehrer:innen können Lücken füllen und eine Bereicherung darstellen, wenn sie in fachlicher, fachdidaktischer und pädagogischer Hinsicht angemessen akademisch ausgebildet und ggfs. nachqualifiziert sind. Abzulehnen sind eine verkürzte Ausbildung sowie der Einsatz von Personen ohne ausreichende Ausbildung und ohne qualifizierenden Abschluss im regulären schulischen Lehrbetrieb. Dies gilt in der Physik umso mehr, da z.B. Schülerfragen hier häufig eine Tiefe erreichen und das Experimentieren Fertigkeiten und Fähigkeiten sowie Sicherheitskenntnisse erfordern, der und denen man nur mit einer fundierten Ausbildung gerecht werden kann. Weiterbildungsangebote für Lehrkräfte und Quer-/Seiteneinsteigende gehören daher generell ausgebaut und sollten auch durch die Universitäten unterstützt werden.
Die föderale Diversität in der Lehrkräfteausbildung muss konstruktiv gestaltet werden!
Die heterogene Ausgestaltung der Lehramtsausbildung in Deutschland bringt sowohl Probleme als auch Chancen mit sich. Eine Vielfalt von Ansätzen ist im Grundsatz zu begrüßen; dringend verstärkt werden müssen aber der Austausch und die Bereitschaft, voneinander zu lernen. Darüber hinaus braucht es eine Verständigung über curriculare Mindeststandards zur Ausgestaltung der inhaltlichen Anforderungen der KMK für die Physik und Physikdidaktik in der Lehrerbildung.
Es braucht mehr Datentransparenz!
Die Zahlen der Lehramtsstudent:innen, der Absolvent:innen, der Referendar:innen, der Quereinsteiger:innen und der aktiven Lehrer:innen sowie der künftige jährliche Bedarf an Lehrer:innen müssen, nach Fächern und Schulformen getrennt, bundesweit von den Ländern transparent gemacht werden. Die derzeitige Situation ist in dieser Hinsicht desolat. Es ist weder bekannt, wie viele Absolvent:innen mit dem Referendariat beginnen, noch welcher Anteil der Referendar:innen später Physik unterrichtet.
Mit Blick auf die inhaltliche Gestaltung der Lehramtsstudiengänge
Das Lehramtsstudium muss konsequent auf den künftigen Lehrerberuf vorbereiten!
Im Gegensatz zu vielen Student:innen in Physik-Fachstudiengängen streben fast alle (97 % laut aktueller DPG-Studie) Physik-Lehramtsstudent:innen einen klar definierten Beruf an. Die Lehramtsstudent:innen fordern deshalb eine Ausrichtung des Studiums auf den Lehrberuf an Schulen. Die Gestaltung des Lehramtsstudiums muss diesem Befund Rechnung tragen:
- Von Beginn des Studiums an muss der Bezug auf die spätere Schulpraxis deutlich werden.
- Fachdidaktische und fachphysikalische Lehrinhalte und -veranstaltungen müssen aufeinander abgestimmt werden. Veranstaltungen, die sich nicht ausschließlich an Lehramtsstudent:innen richten, müssen so konzipiert sein, dass deren spezielle Bedürfnisse konsequent mitberücksichtigt sind. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf diejenigen Student:innen, die nicht Mathematik als Zweitfach belegen (50% laut aktueller DPG-Studie).
- Alle Inhalte des Studiums müssen kritisch mit Blick auf ihre Relevanz für den Beruf als Physiklehrer:in überprüft werden. An vielen Standorten müssen Themen der Klimaphysik und Astrophysik stärkere Berücksichtigung finden, genauso wie Themen der Wissenschaftskommunikation, -philosophie, und -geschichte.
Dies ist kein Plädoyer für eine fachliche „Vereinfachung“ oder „Reduzierung“ und auch nicht für eine strikte Trennung von Lehramts- und Fachstudent:innen. Vielmehr sollten ausnahmslos alle Aspekte und Veranstaltungen eines Lehramtsstudiums von dem Ziel her gedacht werden, die Student:innen dazu zu befähigen, später guten Physikunterricht zu erteilen sowie die weiteren komplexen Anforderungen ihres Berufs zu meistern. Hierfür sollten die Fachbereiche aufbauend auf den gesetzlichen Rahmenbedingungen eigene gemeinsame Mindeststandards für die Studiengänge der verschiedenen Formen des Lehramtes erarbeitet.
Die Vielfalt der Zweitfächer muss anerkannt werden!
Die aktuelle DPG-Studie zeigt: Die Hälfte der Physik-Lehramtsstudent:innen studiert Mathematik als Zweitfach, die andere Hälfte ein anderes Fach. Diese Diversität sollte als Bereicherung verstanden werden. Die Universitäten sind gefordert, durch geeignete Organisationsstrukturen wie Zeitfenstermodelle allen Student:innen ein möglichst reibungsfreies Studium zu ermöglichen.
Mathematische Methoden müssen innerhalb des Lehramtsstudiums Physik gelehrt werden!
Die für das Verständnis der physikalischen Zusammenhänge erforderliche Mathematik muss für die Lehramtsstudent:innen direkt in die physikalische Ausbildung integriert werden, z.B. durch Pflichtvorlesungen zu mathematischen Rechenmethoden im ersten Studienjahr. Dies gilt vor allem auch mit Blick auf Student:innen, die als Zweitfach nicht Mathematik studieren.
Integrative Ansätze fördern!
Zu oft stehen im Lehramtsstudium die fachliche, die fachdidaktische und die pädagogische Ausbildung sowie die Phasen der Schulpraxis im Studium und auch das folgende Referendariat weitgehend beziehungslos nebeneinander. Hier gilt es integrative Ansätze konsequent zu fördern und insbesondere die fachliche und fachdidaktische Ausbildung eng zu vernetzen. Auch aktive Lehrkräfte mit entsprechender Vorbereitung und hochschuldidaktischer Expertise sollten in die universitäre Ausbildung verstärkt einbezogen werden, um den Kontakt zwischen Schulen und den Universitäten zu intensivieren.
Mit Blick auf die organisatorische Gestaltung der Lehramtsstudiengänge Physik
Lehramt geht alle an!
Die Gewährleistung guten Schulunterrichts ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Die Verantwortung für die Ausbildung von Physiklehrer:innen liegt bei allen Mitgliedern eines universitären Physikfachbereichs, nicht nur bei der Abteilung Physikdidaktik oder einzelnen Koordinator:innen. Es ist wichtig, dass Fachphysiker:innen vermehrt Fachvorlesungen und -seminare anbieten, die speziell auf das Lehramt ausgerichtet sind, etwa zu Themen wie Klimaphysik oder Physik im Alltag.
Die Abbruchquote im Lehramtsstudium muss drastisch gesenkt werden!
Zu viele geeignete Student:innen brechen das Lehramtsstudium Physik ab. Maßnahmen, die dazu beitragen, geeignete Student:innen in den Studiengängen zu halten, müssen zeitnah umgesetzt werden. Hierzu gehört eine Stärkung von Unterstützungsangeboten, insbesondere aber auch ein Überdenken der Studieneingangsphase, die oft verschlankt und mit stärkerem Bezug auf die Schulpraxis gestaltet werden könnte. Von Beginn an eigene Lehrveranstaltungen für Lehramtsstudent:innen sind wichtig, um das Studienziel des Lehrberufs sichtbar und eine unterstützende Gruppenbildung möglich zu machen.
Die Identität der Lehramtsstudent:innen der Physik muss gestärkt werden!
Es gilt mehr als bisher zu beachten und herauszustellen, dass ein Studium der Physik auf vielfältige Berufsfelder vorbereitet – insbesondere auch das der Physiklehrerin oder des Physiklehrers. Lehramtsstudent:innen der Physik sollten an den Fachbereichen in gleicher Weise wertgeschätzt und gefördert werden wie Student:innen eines Physik-Fachstudiengangs. Insbesondere müssen sie dabei unterstützt werden, sich mit ihren Kommiliton:innen zu vernetzen und sich positiv mit ihrem Physik-Fachbereich und mit ihrer Rolle als künftige Physiklehrer:innen zu identifizieren.
Die aufgestellten Thesen lassen bewusst Raum zur Ausgestaltung an den Fachbereichen, betonen aber auch den Wert von Mindeststandards, zu denen sich ungeachtet aller Heterogenität die Fakultäten bekennen sollten. Wie die DPG-Studie zum Physiklehramtsstudium in Deutschland erneut konstatierte, ist die Landschaft der Lehramtsstudiengänge in Deutschland ausgesprochen heterogen und es gibt daher keine allgemeingültigen Lösungen. Vielmehr müssen Lösungen lokal von den Fachbereichen gefunden werden, in deren Händen auch die Verantwortung für die Lehramtsstudiengänge liegt. Die DPG möchte mit diesem Thesenpapier einmal mehr die enorme Bedeutung einer guten Lehramtsausbildung für die Physik unterstreichen und mit allem Nachdruck darauf hinweisen, dass dringender und erheblicher Handlungsbedarf besteht.
Jede Investition in das Lehramtsstudium Physik ist eine Investition in die Zukunft der Physik in Deutschland und in die Zukunft aller Berufsgruppen, die durch naturwissenschaftliche und technische Inhalte geprägt sind.