Jahresbericht 1998

Berichtszeitraum: 1. April 1998 bis 31. März 1999

Präsident

Leider muß ich an dieser Stelle mit einer etwas besorgniserregenden Feststellung beginnen. Wie im Bericht des Hauptgeschäftsführers zu lesen ist, hat die Deutsche Physikalische Gesellschaft im Jahr 1998 zum ersten Mal seit ihrer Wiedergründung 1963 eine geringfügige Abnahme der Mitgliederzahl zu verzeichnen. Die hohen Zuwachsraten der letzten Jahre sind nicht nur auf die geburtenstarken Jahrgänge der Studierenden zurückzuführen, sondern auch auf die konsequenten Bemühungen der Kollegen an den Hochschulen, Diplomanden und Doktoranden sehr früh in das Tagungswesen der DPG einzuführen. Dies wird durch entsprechende Reisebeihilfen der Wilhelm und Else Heraeus-Stiftung großzügig unterstützt, welche wiederum nur für DPG-Mitglieder zur Verfügung stehen. Also ist und bleibt der Anreiz, der DPG beizutreten, weiterhin groß. Es stellt sich nunmehr die Frage, ob wir in den nächsten Jahren den jetzigen hohen Mitgliederstand von über 31.000 halten können: Die Zahl der Studienanfänger(innen) in der Physik hat - ungefähr parallel zur Jahrgangszahl der 20jährigen - stark abgenommen, und wir werden in den nächsten Jahren mit wesentlich weniger Diplomanden und Doktoranden rechnen müssen. Gleichzeitig ist eine Tendenz zu erkennen (siehe die Ergebnisse der DPG-Berufsumfrage: H. Sixl, Phys. Bl. 54 (1998) 504-511), daß Physiker(innen) nach dem Studium zunehmend in andere Berufssparten wechseln - sie sind ja sehr gefragt. Dies könnte unseren Mitgliederstand zusätzlich negativ beeinflussen. Es ist also vornehmliches Ziel des Präsidenten und des Vorstandes, über Lösungen nachzudenken, und vor allem Wege zu finden, um unsere DPG attraktiver und spannender zu machen, nicht nur für die in der Forschung und an den Hochschulen tätigen Physiker, sondern auch für eine Reihe von Gruppierungen, um die wir uns in der Vergangenheit ungerechterweise - aber sicherlich nicht absichtlich - weniger gekümmert haben. Dazu gehören vor allem Frauen, Jungphysiker im Beruf, Lehrer, Industriephysiker, Fachhochschullehrer sowie Physiker, die überhaupt nicht mehr in der Physik tätig sind. Viele der Aktivitäten der letzten Zeit, worüber die verschiedenen Vorstandsmitglieder hier berichten, setzen sich mit diesem Thema auseinander. Dabei haben wir erkannt, daß die DPG nicht nur versuchen muß, mit ihren Aktivitäten den Kreis weiter zu ziehen, sondern auch allgemein für die Physik in der breiteren Öffentlichkeit zu werben. Die Physik spielt eine wichtige, wenn nicht sogar die wichtigste Rolle, im Kampf gegen die zunehmende Technik- und Wissenschaftsskepsis in unserer Gesellschaft.

Im Berichtszeitraum (1. April 1998 bis 31. März 1999) hat der Vorstand viermal und der Vorstandsrat zweimal getagt. Der Vorstandsrat kam am 13. und 14. November anläßlich des Tages der DPG in Bad Honnef sowie am 14. März anläßlich der 63. Physikertagung in Heidelberg zusammen. Ebenfalls in Heidelberg fand die ordentliche Mitgliederversammlung statt. Der Vorstandsrat hat in Bad Honnef Herrn Dr. Dirk Basting, Alleingeschäftsführender Gesellschafter der Lambda Physik GmbH, Göttingen, zum designierten Präsidenten gewählt (die Satzung sieht vor, daß die Präsidenten der DPG "im Wechsel der Hochschule, der Wirtschaft und dem Bereich der hochschulfreien Forschung angehören"). Erfreulicherweise werden wir mit Herrn Basting zum ersten Mal einen Präsidenten haben, der aus dem mittelständischen Unternehmensbereich kommt. In Anbetracht der vielen Physiker, die den Schritt in die Selbständigkeit wagen, setzen wir mit seiner Wahl ein Zeichen. Ebenfalls kann ich mit großer Freude berichten, daß der Vorstandsrat im vergangenen November Herrn Prof. Werner Buckel zum Ehrenmitglied der DPG gewählt hat. Ich habe ihm die Urkunde anläßlich der Festsitzung in Heidelberg überreichen dürfen. Aus dem Vorstand ist Herr Prof. Konrad Kleinknecht ausgeschieden, der für den Bereich Bildung und Ausbildung zuständig war. Aufgrund zu hoher Arbeitsbelastung hat er bedauerlicherweise nicht für eine nochmalige Amtsperiode kandidiert. Ich möchte an dieser Stelle Herrn Kleinknecht danken, insbesondere für seine tatkräftige Mitwirkung beim Zustandekommen der Stellungnahme der DPG und neun weiterer Fachgesellschaften zur Bildungspolitik sowie im Dialog mit der Politik und den Medien bezüglich Energiefragen. An seine Stelle hat der Vorstandsrat Herrn Prof. Rainer Kassing, Kassel, gewählt. Um allerdings die Belastung dieses Amtes etwas zu reduzieren, hat der Vorstand von seinem Recht nach den Ausführungsbestimmungen zu § 13 der Satzung Gebrauch gemacht und Herrn Dr. Gerhard Sauer, Gießen, zum Beauftragten für den Bereich "Schule" benannt. Als Gäste mit beratender Stimme sind zu den Vorstandsratssitzungen Prof. Iven Pockrand, FH Wedel, und Dr. Ernst Dreisigacker, Geschäftsführer der Wilhelm und Else Heraeus-Stiftung, eingeladen worden.

Im Tagesgeschäft einer Organisation wie der DPG ist es oft schwierig, bei jedem anstehenden Problem dem Buchstaben getreu nach ihrer Satzung zu handeln. Aufgaben und Fragestellungen müssen häufig sofort und spontan gelöst werden. So kommt es, daß die Verantwortlichen in einem eingetragenen Verein feststellen, daß die aufgestellten Regeln gewissermaßen nicht mehr dem wirklichen Handeln entsprechen und einer neuen, dem praktischen Alltag angepaßten, Überarbeitung bedürfen. Im Zusammenhang mit der Diskussion im Vorstandsrat über den Bericht der Kommission "Leistungsspektrum der DPG" (ich habe in meinem Grußwort zum Jahresanfang dieses Thema behandelt: Phys. Bl. 55-1 (1999) 5), stellte man die Notwendigkeit fest, einige Änderungen der Satzung in Erwägung zu ziehen. Eine Satzungskommission des Vorstandsrates unter Leitung des Altpräsidenten, Herrn Prof. Horst Rollnik, hat sich dankenswerterweise dieses Problems angenommen und diverse Satzungsänderungen vorgeschlagen, die inzwischen in den Physikalischen Blättern veröffentlicht wurden. Die Mitgliederversammlung in Heidelberg hat beschlossen, sie den Mitgliedern vorzulegen, die jetzt gebeten werden, in brieflicher Abstimmung darüber zu befinden. Ich bitte Sie alle, im Interesse unserer DPG, an dieser Abstimmung teilzunehmen.

Neben den Physikalischen Blättern, die alle unsere Mitglieder erreichen, bleiben die jährlichen Frühjahrstagungen die Hauptaktivität der DPG. Im März 1999 fanden die beiden größten Veranstaltungen, die 63. Physikertagung und die Tagung des Arbeitskreises Festkörperphysik in Heidelberg bzw. Münster statt. Weitere Frühjahrstagungen wurden in Freiburg, Leipzig und Ludwigsburg abgehalten. Die hohe Teilnehmerzahl von insgesamt rund 7.000 Physikern ist eine der großen Stärken der DPG. Vergleichbares auf der Welt wird nur von der American Physical Society angeboten. Um so bemerkenswerter ist es, wenn man in Erinnerung ruft, daß die Organisation mit Ausnahme der speziell für die Tagung engagierten Teilzeitkräfte von ehrenamtlich tätigen Mitgliedern getragen wird. Die diesjährige sehr erfolgreiche Tagung in Heidelberg, wo unter anderem auf der Festsitzung Herr Staatssekretär Dr. Uwe Thomas die Bildungs- und Forschungspolitik der neuen Bundesregierung erläutert hat, war keine Ausnahme. Ich möchte an dieser Stelle allen Mitgliedern, die ehrenamtlich bei den Tagungen der DPG mitwirkten, herzlich danken. Ferner möchte ich auch noch die Gelegenheit nutzen, um unseren Dank an alle anderen Mitglieder zu richten, die Ämter in der DPG inne haben oder in ihren Gremien mitwirken. Diese ca. 200 Mitglieder wirken in enger Zusammenarbeit mit unserer kleinen, aber sehr effizienten Geschäftsstelle unter der Leitung des Hauptgeschäftsführers Herrn Dr. Häselbarth, um den Grundstock der DPG zu bilden.

Um die Position von Frauen in der Physik zu stärken und zu fördern, hat der Vorstandsrat den Arbeitskreis Chancengleichheit (AKC) gegründet. Die Mitgliedschaft ist allen DPG-Mitgliedern offen. Der AKC hat sich im November vergangenen Jahres anläßlich der Deutschen Physikerinnen-Tagung in Hamburg konstituiert und ein Arbeitsprogramm verabschiedet. Er wird durch zwei Mitglieder im Vorstandsrat (ohne Stimmrecht) mit beratender Stimme vertreten. Das Arbeitsprogramm umfaßt eine Reihe von praktischen Projekten, die sich z.B. mit der Frage beschäftigen, warum sich so wenig Mädchen für die Physik in der Schule interessieren. Ein anderer Arbeitskreis der DPG hat aus eigenem Entschluß seine Arbeit eingestellt und ist daraufhin vom Vorstandsrat aufgelöst worden: Es ist dem Vorstand nicht gelungen, die noch wenigen verbliebenen Mitglieder des Arbeitskreises "Optionen für die Zukunft" (AKO) für eine Fortführung zu gewinnen. Gründe dafür waren Unstimmigkeit mit dem Vorstand in der Vergangenheit über die Rolle und Organisation des Arbeitskreises sowie die Tatsache, daß sich die Berufsperspektiven für Physiker drastisch verbessert haben und nur noch wenige junge Physiker mit der Arbeitslosigkeit und mit beruflichen Problemen kämpfen. Der Vorstand hält aber daran fest, daß eine Organisation für Jungphysiker in der DPG eine nützliche Einrichtung wäre und hofft, daß eine Neugründung eines solchen Arbeitskreises irgendwann einmal in Zukunft möglich sein wird. Ein nützlicher Anfang ist das "Schwarze Brett" für Jungphysiker auf der Homepage der DPG. In dieser Angelegenheit habe ich auch im letzten Herbst an alle Mitglieder im Alter von ca. 30 Jahren geschrieben.

Die von meinem Vorgänger, Herrn Prof. Schwoerer, in seinem letztjährigen Bericht erwähnte Gründung der elektronischen Zeitschrift New Journal of Physics ist inzwischen vollzogen worden (www.njp.org). Die entsprechenden Verträge mit unserer britischen Schwestergesellschaft Institute of Physics wurden im letzten Sommer unterzeichnet. Die ersten Arbeiten sind im Dezember 1998 auf dem Web erschienen. Ziel des Unternehmens ist nicht nur, eine rein elektronische Physikzeitschrift zu gründen, sondern etwas von höchstem wissenschaftlichem Niveau zu schaffen, welches auf längere Sicht unter anderem Konkurrenz zu den Physical Review Letters anbietet. Die letzten Zahlen zeigen, daß die Zeitschriften der American Physical Society und des American Institute of Physics langsam aber sicher ihre Machtstellung im Zeitschriftenwesen weiter ausbauen. Physical Review und Physical Review Letters zum Beispiel hatten 1998 einen Umfang von ca. 90.000 Seiten; etwa ein Drittel der Artikel stammten aus Westeuropa! New Journal of Physics sollte nach diesem Muster ebenfalls eine internationale Zeitschrift sein, und wir hoffen, daß weitere - auch nichteuropäische - physikalische Gesellschaften sich dem Unternehmen anschließen werden. Wir freuen uns sehr, daß unsere holländischen, polnischen und australischen Schwestergesellschaften bereits dabei sind; wir hoffen, noch weitere assoziierte Gesellschaften, darunter auch unsere geschätzten Kollegen in der Société Française de Physique, dafür zu gewinnen.

Wie ich in meiner Rede auf der Heidelberger Tagung betonte (siehe dieses Heft), ist die Deutsche Physikalische Gesellschaft bei Stellungnahmen zu politischen Themen sehr zurückhaltend. Aus aktuellem Anlaß hatte aber der Vorstandsrat im vergangenen November in einer Stellungnahme zur Energiepolitik der Bundesregierung die wesentlichsten Aussagen seines Energiememorandums aus dem Jahr 1995 bekräftigt. Obwohl die Resonanz in den Medien enttäuschend war, haben fast alle angeschriebenen Bundesminister und Fraktionen unseren Brief beantwortet. Ferner sind wir von der zuständigen Abteilungsleiterin zu einem Gespräch im Bundeswirtschaftsministerium eingeladen worden. Die DPG-Delegation, bestehend aus dem Präsidenten, einem Vorstandsmitglied und drei Vertretern des Arbeitskreises Energie, waren allerdings vom Gesprächsablauf sehr enttäuscht. Die Einhaltung der Zusage, CO2-Emissionen bis zum Jahr 2005 um 25% zu verringern, scheint in den Gedanken der jetzigen Bundesregierung nicht unbedingt Priorität zu genießen. Vermutlich wird sie sogar verstärkt fossile Brennstoffe in den nächsten Jahren zulassen. Auf jeden Fall hat Frau Abteilungsleiterin Dr. Möller das Gespräch sehr anregend gefunden und versprach, die DPG und besonders den Arbeitskreis Energie in Zukunft häufiger zu konsultieren.

Oben habe ich bereits im Zusammenhang mit der Satzungsänderung vom Bericht der Kommission "Leistungsspektrum der DPG" gesprochen und auf meinen Artikel in den Physikalischen Blättern Anfang dieses Jahres verwiesen. In einer Debatte zu diesem Thema hat der Vorstandsrat vor kurzem festgestellt, daß einige der dort aufgeführten Defizite in der Arbeit der DPG bereits beseitigt worden sind. Themengebiete, bei denen noch Defizite existieren, sind jedoch die Öffentlichkeitsarbeit (Herr Wandelt berichtet hier über neue Maßnahmen in dieser Richtung) sowie die Bereiche "Schulen", "Fachhochschulen" und "Industriephysiker". Mit diesen Problemen werden wir uns auch weiterhin befassen. Allerdings sind in einer Gesellschaft wie der DPG, in der die ehrenamtliche Arbeit groß geschrieben und der Stamm permanenter fester Mitarbeiter bewußt klein gehalten wird, den Tätigkeitsfeldern natürliche Grenzen gesetzt. Unsere angelsächsischen Schwestergesellschaften dagegen erfreuen sich beträchtlicher Einnahmen aus ihren Verlagsgeschäften und können sich daher große und aufwendige Mitarbeiterstäbe leisten. Welche Vorteile sich daraus ergeben, haben wir vor kurzem bei der APS gesehen, nämlich die Möglichkeit, ein so herausragendes Ereignis wie das Centenary Meeting in Atlanta zu veranstalten. Andererseits sind, wie vorhin erwähnt, die großen Vorteile der ehrenamtlichen Mitarbeit, die die DPG kennzeichnet, nicht zu unterschätzen.

In der breiteren Öffentlichkeit fokussiert sich die Aufmerksamkeit zunehmend auf das Jahr 2000. Für uns Physiker hat es aber noch eine etwas andere und nicht weniger wichtige, zusätzliche Bedeutung. Am 14. Dezember 2000 jährt sich zum 100.-mal der Vortrag von Max Planck vor der Deutschen Physikalischen Gesellschaft im Hörsaal des damaligen Physikalischen Insti-tuts der Berliner Universität über sein Strahlungsgesetz. Dies gilt allgemein als Geburtsstunde der Quantentheorie (eine kürzlich auf Vorschlag des Fachverbandes "Geschichte der Physik" der DPG angebrachte Gedenktafel am ARD Hauptstadtstudio Berlin erinnert auch daran). Der Vorstand beabsichtigt dieses Ereignis im Dezember 2000 im Rahmen einer Jubiläumswoche mit einer Festveranstaltung im Schauspielhaus, einer Ausstellung, vier Symposien und diversen öffentlichen Vorträgen in Berlin zu würdigen. Ein gemeinsames Komitee der DPG und anderer Fachgesellschaften und Akademien sowie weiterer Organisationen hat die Planungsarbeit bereits aufgenommen. In Zusammenarbeit mit der European Physical Society ist eine World Conference of Physical Societies geplant. Eine großzügige Förderung der Jubiläumswoche durch die Wilhelm und Else Heraeus-Stiftung ist in Aussicht gestellt worden. Ich hoffe, daß diese Veranstaltung im Sinne der Anmerkungen im ersten Absatz dieses Berichtes mit dazu dienen kann, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit stärker auf die Physik zu lenken.

*Ich werde ab diesem Punkt in meinem Bericht der Einfachheit halber nur die männliche Form benutzen, selbstverständlich ohne dabei Frauen ausschließen zu wollen.

Prof. Dr. Alexander M. Bradshaw
Präsident

 

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