Interview mit Dr. Hanna Nowak


Physikerinnen mit Auslandserfahrungen: März - Oktober 2000
 
 

Mit 
 
sprach
Dr. Hanna Nowak
DESY Zeuthen CERN /L3 
 
Dr. Johanna Lippmann 
Columbia University
New York, USA.

http://www.ldeo.columbia.edu/~lippmann/

Johanna(1):
Liebe Hanna, wir kennen uns von von mindestens zwei Physikerinnentagungen persönlich (Berlin und Heidelberg), das macht es besonders nett, ein "Gesicht" vor Augen zu haben, wenn ich mit dem Interview beginne...
Von Deinen Stationen im Ausland kenne ich bisher nur die Jahreszahlen und die Orte: 1975-1981 in Dubna (damals Sowjetunion) und 1983-1986 im CERN in Genf. Dort verbringst Du auch heute noch ca. 1/3 Deiner Arbeitszeit am CERN. D.h., Du pendelst eigentlich ständig zwischen Zeuthen (bei Berlin) und Genf hin und her. Um mal ganz von vorne anzufangen, Du hast in der damaligen DDR Physik studiert?

Hanna(1):
Ja, das ist korrekt und zwar an der Humboldt-Uni in Berlin und (zwar) in einem selbst für DDR-Verhältnisse frauenreichen Jahrgang!
Von 60 Studienanfängern waren 12 weiblich - 48 haben es geschafft davon 10 weiblich. Wir hatten eine Aufnahmeprüfung zu machen - schriftlich und mündlich - da es etwa zwei Bewerber auf einen Studienplatz gab.
Ich wollte Physik studieren - bin also nicht "umgelenkt" worden. Ich habe 1965 begonnen zu studieren und 1972 mit der Doktorarbeit abgeschlossen. Statt einer schriftlichen Diplomarbeit war ein Poster über die durchgeführten Arbeiten anzufertigen und diese Arbeiten mussten auch verteidigt werden.

Johanna(2):
Da gibt es viele Fragen, die mich interessieren, aber die gehören vielleicht jetzt nicht hierher...

Hanna(2):
.. die kannst Du mir gerne stellen außerhalb dieses "offiziellen" Programms. Ich antworte Dir gerne...
 

Johanna(3):
Wie hat sich der Kontakt nach Dubna ergeben und wie wurde ein solcher Auslandsaufenthalt von offizieller Seite unterstützt?
 

Hanna(3):
Ich war die erste Forschungstudentin an der Humboldt-Uni in Physik und ich wollte Teilchenphysik machen - aber experimentell, nicht theoretisch. Und da gab es nur eine Möglichkeit: in Zeuthen, bei der damaligen Akademie der Wissenschaften der DDR. Teilchenphysik in der DDR war eng verbunden mit Dubna - die DDR zahlte etwa 10% des Budget für das Vereinigte Institut für Kernforschung der sozialistischen Länder (VIK Dubna). Dubna ist eine kleine Stadt 120 km nordwestlich von Moskau.
Wer also nach Zeuthen ging, hatte auch nach Dubna zu gehen. Für mich war das besonders attraktiv, mein Mann ist auch Teilchenphysiker (er hat 45 min vor mir promoviert), wir hatten zu der Zeit einen kleinen Sohn (der heute groß und 25 Jahre alt ist) und keine Wohnung. Daß Dubna dann für mich auch das Erwachsen werden als Physikerin bedeutete, konnte ich damals nur hoffen. Aber ich war dort in einer wunderbaren Arbeitsgruppe (fachlich und menschlich) und hatte alle Möglichkeiten, etwas Sinnvolles zu tun - d.h. ich hatte die Chance, ein Experiment vom Proposal zur Veröffentlichung durchzuziehen: Mit der Unterstützung meiner Kollegen dort und gegen den Chef zu Hause in Zeuthen! Dubna war für mich die Möglichkeit, von einem sehr strengen und übermächtigen Chef wegzukommen. (Wir haben uns erst viel später ausgesprochen, als er nicht mehr Chef war und ich meine Ergebnisse auf Konferenzen gut verkauft hatte.) Den Aufenthalt am VIK Dubna nannte man Delegierung. Dort wurde man wie die sowjetischen Wissenschaftler bezahlt und zu Hause lief das halbe Gehalt weiter.
Für uns weiterhin positiv war, dass mein Mann zur gleichen Zeit auch an das VIK Dubna delegiert wurde.
Der Lebensstandard war weit unter dem in der DDR und mit dem der BRD nicht zu vergleichen, aber man lernte organisieren und sich gegenseitig helfen, also Solidarität. Ich habe dort auch einige Jahre die Prognosekommission der DDR Delegation geleitet und war die jüngste Seniorphysikerin (mit 29 Jahren) - das letzte verdanke ich meinem russischen Chef, das erste einem Professor aus Rossendorf. Mein Zeuthener Chef war in beiden Fällen nicht dafür. Die Prognosekommission befasste sich mit der Bewertung von Experimenten und Experimentvorschlägen und machte dann Vorschläge für eine DDR Beteiligung. Da in Dubna nicht nur Teilchenphysik, sondern auch Kernphysik, Festkörperphysik und Biophysik gemacht wird, war das eine ganz gute Übung.
FAZIT: DUBNA war für DDR Teilchenphysiker normal und (für alle) möglich und erwünscht.
Kommentar: Das für alle muss ich relativieren - es gab zwei Fälle bei uns im Institut, wo das abgelehnt wurde, die Gründe waren politisch motiviert und unsinnig.
 

Johanna(4):
Besonders finde ich, dass Du mit Deinem Mann und Sohn gemeinsam ins Ausland, in deinem Fall in die damalige Sowjetunion, gehen konntest. Auch wenn in Dubna, wie Du sagst "der Lebensstandard ... weit unter dem in der DDR und mit dem der BRD nicht zu vergleichen" war, so ist doch solch ein gemeinsamer beruflicher Auslandsaufenthalt etwas ganz besonders. Mir scheint, es gehört leider nach heutigem gängigen Wissenschafts-Karriere-Muster (der westlichen Welt?) noch keinesfalls "gesellschaftliche Normalität", dass ein Paar gemeinsam eine solche Möglichkeit erhält. Dazu habe ich auch kürzlich einen spannenden link gefunden: "Dual Careers Couples" (h ttp://www.physics.wm.edu/dualcareer.html).
Nach sechs Jahren in Dubna, wie ging es dann weiter? Seit ihr zurück nach Zeuthen gegangen? Waren euch dort die Stellen freigehalten worden? Und wie kamst Du/Ihr dann ans CERN in Genf?
 

Hanna(4):
Noch ein Wort dazu, in der DDR war es erwünscht, dass man mit Familie nach DUBNA ging, und somit wurde das auch von staatlicher Seite unterstützt, d.h. die Stellen in Zeuthen wurden freigehalten, das halbe Gehalt zu Hause wurde vom Wissenschaftsministerium gezahlt - das Institut konnte die Stelle also in der Zwischenzeit besetzen. Keine schlechte Lösung- für die Familie und das Institut und für den einzelnen! Für die "Delegierung" in den "Westen" sah es schon anders aus. Da gab es ein Gesetz, dass man bis zu einem Jahr ohne Familie und bei Aufenthalten über einem Jahr mit Familie zu fahren hatte. Allerdings konnte man nur Kinder bis zu 10 Jahren ( bis einschl. 4. Klasse) mitnehmen.
CERN kam also später und war sicher für DDR-Leute die große Ausnahme. Aber unser Institut hat seit den späten 60-ziger Jahren immer einen Physiker in Genf gehabt. 1983 wurde mein Mann delegiert. Mein Chef wollte mich als mitreisende Ehefrau mitschicken (das heisst für gar nichts - kein Geld, keine Rentenzuwächse, aber der Arbeitsplatz sollte erhalten bleiben) - Ich habe NEIN gesagt, aber ich hatte das große Glueck, dass der damalige Generalsekretär der Akademie mein Diplom- und Doktorvater war. Er war durchaus der Meinung, dass ich ein "vollständiger Mensch" wäre (Orginalzitat) und so wurde ich auch delegiert. Das hieß, ein Jahr im CERN ohne Bezahlung zu arbeiten, aber das Gehalt (Mark der DDR - nicht umtauschbar) zu Hause lief weiter. Dann habe ich mich so gut gemacht, dass mir CERN einen 1-Jahresvertrag anbot und mein Mann ein Jahr ohne CERN-Bezahlung arbeitete. Nun ist das Gehalt im CERN ja wirklich groß genug, um eine Familie hervorragend zu ernähren. Ich bin seit dieser Zeit (mit einer Unterbrechung aus gesundheitlichen Gründen) immer an CERN Experimenten beteiligt. Ich arbeite dort sehr sehr gern in den internationalen Teams - also wieder ein menschlicher Faktor neben dem fachlichen. Allerdings habe ich mich jetzt an das Leben 40% auf Reisen 60% zu Hause gewöhnt.
 

Johanna(5):
Als Du damals die Aufnahmeprüfung in Physik bestanden hattest und damit die Möglichkeit hattest, einen begehrten Studienplatz Deiner Wahl zu bekommen, hattest Du eine Vorstellungen davon, wie "bewegt" sich Dein beruflicher Werdegang entwickeln würde? Hätte es Dich dann vielleicht abgeschreckt? Oder gerade gereizt?
(Und gibt es etwas, was Du als Dein bisheriges Fazit im Kontext Beruf-Ausland-Familie uns jüngeren Physikerinnen empfehlen würdest?)
 

Hanna(5):
Als ich anfing Physik zu studieren, war ich nur neugierig und wissbegierig, da gab es etwas, was eine große und interessante Herforderung war! Und das ist es für mich noch heute - ich würde wieder Physik studieren! Und dass mein Leben etwas bunter und weniger seßhaft geworden ist, finde ich auch gut - ganz ehrlich und ich weiß nicht warum, aber ich liebe dieses Leben und ich möchte es nicht anders haben. Ich kann Forschung machen, ich habe wenig Administration zu tun, ich habe Freunde fast überall in Europa und ich habe meine Familie. Ich denke, das alles ist sehr, sehr viel. Es hat auch seinen Preis, ich habe nie genug Zeit z.B. für Kultur, Theater, Konzerte, meinen Sport, keinen großen Bekanntenkreis hier am Ort und ich bin ( wie schön) absolut keine normale "Hausfrau"! Aber ich will das so und deshalb ist es gut!
..und das Fazit:

  1. Mann oder Frau muss das wollen, was man tut.
  2. Mann oder Frau braucht den richtiger Partner dazu.
  3. Es geht nicht ohne Kompromisse und guten Willen.
  4. Dieses Leben ist nie langweilig.
  5. man braucht ein bisschen Glück und gute Förderer.

Also, liebe Johanna, auch wenn ich denke, dass das gesellschaftliche Umfeld heute ungünstiger ist, als es bei mir war, es ist zu schaffen.