Interview mit Dr. Stefanie Russ

Interview: Physikerinnen mit Auslandserfahrungen
März - Juni 2001:

Mit  sprach 

Dr. Stefanie Russ
Institut für Theoretische Physik III
Justus-Liebig-Universität Gießen
Gießen

Dr. Johanna Lippmann
Columbia University
New York, USA.
http ://www.ldeo.columbia.edu/~lippmann/

 

Johanna(1):
Stefanie, dank Deiner umfangreichen Präsenz im Internet kann ich ja mit meinen Fragen so richtig aus dem Vollen schöpfen. Du hast in Gießen und Hamburg Physik studiert, wo du auch 1992 Deine Doktorarbeit geschrieben hast. Im Anschluß hat sich für Dich die Möglichkeit ergeben, in Paris an der Ecole Polytechnique in Palaiseau ein Post-doc Stelle anzunehmen. Dort bist Du vier Jahre geblieben, hast gelebt und geforscht. Danach folgten eineinhalb Jahre an der Bar-Ilan University in Ramat-Gan bei Tel Aviv, Israel. Heute bist Du wieder an Deiner "Erstuni" in Gießen, mittlerweile als wissenschaftliche Angestellte.

Auf Deiner kommentierten Linkseite gibt es unter vielen spannenden Themen (Frauen, Kinder, Computer, internationale Politik etc.) auch die Rubrik "Leben im Ausland". Ist es nun Zufall, daß dieses Thema allen anderen vorangestellt ist oder ist es Dir ein wirklich besonderes Anliegen, der Öffentlichkeit mehr Information zu bieten, als das kurze Statement: "Ja, ich habe sechs Jahre im Ausland gelebt und gearbeitet."?

Stefanie(1):
Gut, dann kann ich den Montag gleich konstruktiv beginnen, indem ich auf Deine 1. Frage antworte. Vermutlich ist die Reihenfolge auf meiner Linkliste zum großen Teil Zufall. Allerdings habe ich möglichst die Links nach oben gebracht, die ich als nicht so bekannt einschätze. (Zu den Themen Frauen und Computer gibt es schon recht viele Linklisten, zu den Themen Ausland und Friedensforschung dagegen nicht so sehr).
Ein anderer Grund war die Diskussion um die doppelte Staatsbürgerschaft, die in Deutschland gerade aktuell war, als ich mit meinen Seiten anfing. Die lag mir sehr am Herzen und nimmt ja auch einen großen Teil der Diskussionsseite ein. Von daher war es logisch, sie auch auf der Linkliste nach oben zu bringen (eine Reihe von Links zum "Leben im Ausland" befassen sich mit diesem Thema).

Johanna(2):
Noch eine Frage zu den Internetseiten. Durch die Arbeit in der Physik sind wir ja alle ziemlich gut mit dem Internet verbunden. Ohne Email ging nichts mehr und zunehmend sind auch sehr relevante fachlichen Informationen kaum mehr ohne das Internet zu bekommen. Glaubst Du, daß das Internet außerdem zusätzlich für die "weitgereisten" oder "weitreisenden" WissenschaftlerInnen ein Fixpunkt ist, sich zu präsentieren und dadurch präsent zu sein und zu bleiben? Oder ist eine (so umfangreiche und informative) Homepage wie die Deine ein reiner (Zeit-)Luxus?

Stefanie(2):
Nein, die eigene Homepage habe ich erst angefangen, als ich schon wieder in Deutschland lebte. Die ist ein rein privates Hobby (und übrigens weniger zeitaufwendig, als normalerweise so angenommen wird.) Dagegen habe ich das WWW im Ausland genutzt, um die deutschen Tageszeitungen zu lesen und natürlich Email, um die Kontakte mit meinen Freunden und Bekannten zu halten. Mit meinem Freund habe ich beispielsweise fast täglich eine Email gewechselt, was mir auch sehr wichtig war, um die Beziehung lebendig zu halten. (Denn nur, wenn man täglich miteinander kommuniziert, tauscht man noch die Alltagsbegebenheiten aus, die es erst möglich machen, am Leben des anderen mit teilzunehmen.) Bei Briefen, die 3-7 Tage unterwegs sind funktioniert dieser ständige Austausch schon nicht mehr. Außerdem wird der Umzug durch das Internet ungemein erleichtert, weil nicht mehr so viele Artikel und Disketten im Gepäck mitgenommen werden müssen, sondern sich durch ftp und telnet immer wieder neu übertragen bzw. neu beschaffen lassen.

Johanna(3):
Was ich an der Abfolge Deiner Stationen Gießen, Hamburg, Paris, Tel Aviv und Gießen auf den ersten Blick so sympathisch finde, ist, daß sich der Kreis in Gießen wieder schließt. Gibt es da einen langen roten Faden oder haben sich die verschiedenen Orte, Universitäten und Länder jeweils nacheinander aufgrund Deiner zunehmenden fachlichen Qualifizierung und evt. neuer wissenschaftlicher Kontakte ergeben?

Stefanie(3):
Ja, der rote Faden ist mein Doktorvater, bei dem ich in Hamburg promovierte und nun in Gießen habilitiere. (Während meines Auslandsaufenthaltes bekam er einen Ruf nach Gießen.) Mit mir selbst hat das weiter nichts zu tun. Im Gegenteil, ich wäre sogar lieber wieder nach Hamburg gegangen. Die Stadt gefällt mir besser als Gießen, generell lebe ich lieber in Großstädten. Auch kommt mein Freund aus Hamburg und würde gerne weiterhin dort wohnen. Aber so hat er nun eine Stelle in Frankfurt gefunden.

Johanna(4):
Wenn ich das jetzt richtig gelesen habe, dann hat Deine Partnerschaft Deine Auslandsaufenthalte in Paris und Tel Aviv überdauert, obwohl Dein Partner die ganze Zeit in Hamburg lebte. Das finde ich außergewöhnlich. Ich finde es einerseits mutig, das doch sicherlich große Risiko einzugehen, daß die Partnerschaft eine große Entfernung auf längere Zeit nicht überlebt. Andererseits muß man doch auch auf eine Nähe verzichten, die einem Kraft gibt, immer wieder neue Hürden zu meistern, wenn auch sicherlich oft spannende und beflügelnde darunter sind. Unser Job ist ja nicht gerade ein Pappenstiel. Meiner Meinung nach ist dies  eines der größten Hindernisse dafür, daß ein wissenschaftlicher Werdegang für Frauen wirklich attraktiv ist. Auslandsaufenthalte gehören oft zwingend dazu, und der Partner geht
nur selten mit.

Stefanie(4):
Ja, ich denke auch, bei längeren Trennungen vom Partner ist es meistens leider die Karriere der Frau, die darunter leidet. Die Details bei uns habe ich auf meiner Homepage beschrieben, auch unter dem Aspekt der Familienplanung. Mein Freund war nicht die ganze Zeit in Hamburg, er war damals selbst in der Post-Doc-Phase und zeitweise in Bremen und in Canada. Und dazwischen hatte er auch immer mal ein paar Wochen, die er bei mir in Paris verbrachte. Andererseits hatten wir auch Phasen von über einem Jahr, in denen wir uns nur jedes 2. oder 3. Wochenende sehen konnten....

Dies alles ist nicht so ungewöhnlich - in meinem Bekanntenkreis gibt es sogar recht viele solcher Paare und nach meiner Beobachtung halten die meisten Beziehungen dies aus.
Nach ein paar Jahren natürlich haben die Leute dann keine Lust mehr auf eine Fernbeziehung und versuchen, wieder zusammen zu ziehen und vielleicht auch Kinder zu haben. Dies ist leider nach meiner Erfahrung der Moment, an dem die Karrieren der Frauen einen großen Schlag bekommen. Eine Freundin drückte es mal so aus: Die Männer sind im Schnitt meistens 3 Jahre älter und in ihrer Karriere etwas weiter, außerdem kommen sie etwas leichter an die besseren Jobs mit den länger dauernden Verträgen heran. Wenn man dann zusammenzieht, ist es meistens genau in dem Moment, wenn der Mann die 1. Stelle hat, die ihn wirklich weiterbringt, während die Frau noch in der Post-Doc-Phase vor sich hinwurstelt. Dann steht erst gar nicht zur Debatte, daß man den Wohnort dorthin legt, wo es für die Frau besonders günstig wäre. Und wenn dann Erziehungsurlaub ansteht, wird erst recht nicht mehr diskutiert, wer ihn nimmt. (Bei ihr ist es genau so gelaufen: lange Post-Doc-Aufenthalte von beiden in getrennten Kontinenten, schließlich gemeinsame Wohnung, wo er eine permanente Stelle hatte und sie einen 3-Jahresvertrag. Als ihre Stelle auslief, waren schon 2 Kinder da und ein Umzug in eine andere Stadt stand nicht mehr zur Debatte. Also Erziehungsurlaub und hin und wieder Halbtagsjobs, bei denen keine Veröffentlichungen herauskamen. Inzwischen versucht sie, beruflich wieder Fuß zu fassen, aber eine Habilitation steht nicht mehr an.)

Ich hatte bei mir an und für sich nie Bedenken, daß die Beziehung das etwa nicht aushalten könnte. Die lange Trennung hat mich natürlich gestört. Es war nicht von Anfang an so lange geplant, sondern hat sich im Laufe der Zeit so ergeben. Bemerkungen aus unserem nicht-akademischen Bekanntenkreis, daß dies ja wohl nicht halten könnte, gab es. Allerdings habe ich die nicht besonders ernst genommen. Das Alleinleben an sich hat mir - abgesehen von der Eingewöhnungsphase in Paris, als ich dort noch niemanden kannte - nicht viel ausgemacht. Ich habe versucht, mich jeweils vor Ort möglichst gut einzuleben: Freunde zu finden, eine schöne Wohnung in meinem Lieblingsstadtteil zu finden, meine Freizeit angenehm zu verbringen, das Land und die Sprache kennenzulernen, etc., so daß nicht irgendwann das schnell-wieder-weg-Gefuehl entstehen konnte. Das hätte ich natürlich damals nicht so ausdrücken können, aber ich erkenne es im Nachhinein. Ich sehe bei einigen, daß sie nicht versuchen, sich vor Ort wirklich einzuleben. Dies ist meiner Meinung nach die falsche Vorgehensweise. Mit über 30 Jahren ein billiges Zimmer im Studentenwohnheim irgendwo im Randbezirk der Stadt zu nehmen, 4 Tage in der Woche in 14-Stunden-Schichten ranzuklotzen, um jedes Wochenende mit dem Partner verbringen zu können und möglichst schnell den Auslandsaufenthalt absolviert zu haben, führt nur zur permanenten Unzufriedenheit mit der Situation und zur größeren emotionalen Abhängigkeit vom Partner. Den Partner nicht dabei zu haben und nicht jedes Wochenende zu sehen, hat sogar den Vorteil, daß ich mich dann vor Ort mehr um meine Bekanntschaften kümmere. Mir ist es sowohl in Paris als auch in Tel-Aviv am Ende sehr schwer gefallen, wieder wegzuziehen (aber das ist ein anderes Thema). Während ich jetzt in Gießen viel weniger Leute viel weniger gut kennenlerne, da ich ja die Abende und Wochenenden mit meinem Partner verbringe und auf andere Leute gar nicht mehr so angewiesen bin ...

Wenn mich also jemand um Rat fragt, würde ich immer sagen: Plant nur dann Auslandsaufenthalte, wenn Ihr Euch vorstellen könnt, auch etwas Spaß daran zu haben. (Natürlich kann frau den Auslandsaufenthalt auch etwas kürzer und knapper halten, als es bei mir der Fall war, aber selbst wenn es sich "nur" um 1-2 Jahre handelt: die lassen sich nicht nur als reine Pflichtkür absolvieren.) Kümmert Euch gerade in dieser Phase besonders um Euer eigenes Wohlbefinden, spart nicht ausgerechnet an der Miete. Und denkt daran, daß die Karrierefragen bei der Rückkehr nach Deutschland aktuell bleiben!

Johanna(5):
Seit Deiner letzten Antwort und dieser neuen, vielleicht letzten und abschließenden Frage bin ich selbst von Wien nach New York umgezogen. Ich habe hier eine Post-doc Stelle angetreten. Um so passender finde daher Deinen Tip oder Rat, diesen ganzen Aufwand unter keinen Umständen zu betreiben, wenn man sich nicht vorstellen kann, an dieser Zeit auch persönlich etwas Spaß und Lebensfreude zu finden. Der Aufwand ist enorm. Es zeigt sich sicherlich nicht sofort, ob es sich letztendlich alles so ergibt, wie man es sich vorstellt. Aber es ist unglaublich spannend. Den guten Ratschlag, mir ein wohnliches Zuhause zu suchen, habe ich auch damals in Wien bekommen und beherzigt. Hier in New York habe ich auch wieder Glück damit gehabt.
Wenn Du all Deine persönlichen "Verantwortlichkeiten" abgibst (sämtliche Schlüssel:- von der Arbeit, dem verschenkten Fahrrad, der Wohnung, etc.) und Deine Kommunikations-Knotenpunkte kündigen mußt (Wohnadresse, Telefon, lokaler Emailprovider), fühlt man sich unter Umständen schon sehr losgelöst!
Mit mehr oder weniger zwei gefüllten Koffern und einer neuen Zieladresse steuerst Du dann auf das Abflugdatum hin. Hoffentlich vielen Freunden im Rücken und einem guten Stück Zuversicht, daß das nicht alles vollkommener Wahnsinn ist, den Du da betreibst, kann es danach ja fast nur noch wieder aufwärts gehen. Zugegebenermaßen gibt es da - aus meiner Sicht - ein gewisses Potential, sich zu fragen, ob es das wirklich alles "wert" ist. Und dann muß man sich etwas Nettes gönnen: Zum Beispiel - wenn irgend möglich - wieder ein nettes Zuhause. Das ist eine wirklich gute Basis.
Ein gutes Stück Durchhaltevermögen brauchen wir schon. Das Wissen, das es andere auch gemacht und dabei "gewonnen" haben, ist besonders hilfreich.
Was auch immer die Einzelne mit "gewinnen" meint: Lebenserfahrung, Freiheit, Sprachen und Länder, neue spannende Leute, Kollegen und Freunde. Für mich gehört zum gewinnen auch, wenn sich Freundschaften halten, auch über einen größere Distanz hinweg. Weil sie eben etwas Besonderes sind.
Ein wenig mehr von diesen Einzelnen zu wissen und mich selbst in diesen Kontext zu stellen, war bei mir mit der Hauptgrund, diese Serie "Interviews mit Physikerinnen mit Auslandserfahrungen" zu starten. Denn, diese Art Lebensläufe sind einfach nicht die Regel, zumindest nicht in meinem Freundes- und Familienkreis, wohl eher schon unter KollegInnen. Und wie auch immer geartetes Feedback unter ähnlich-Erfahrenen tut einfach gut.

Würdest Du das Land noch einmal wechseln, für eine Professur? Ich würde Dir wünschen, daß Du nur das tun mußt, was Du soundso gerne willst :-))

Stefanie(5):
Ja, ich würde es wieder machen. Konkret versuche ich sogar, mir in Frankreich die Optionen offenzuhalten, d.h., weiterhin mit verschiedenen Wissenschaftlern dort zusammenzuarbeiten. Die Habilitation ist dort anerkannt.
Wenn ich am Ende in Deutschland keine Stelle finde, dann habe ich auf  diese Art zumindest noch ein Land zur Auswahl. Außerdem habe ich gehört, daß es Projekte gibt, in Straßburg eine deutsch-französische Universität zu gründen.
Das wäre ja ideal!