Pressemitteilung
der Deutschen Physikalischen Gesellschaft
Brillante Einblicke in die atomare Dimension - der neue Röntgenlaser bei DESY
Bis in die Dimension einzelner Atome dringen die extrem kurzwelligen Strahlen eines neuen Röntgenlasers vor, der zur Zeit am Hamburger Forschungszentrum DESY entwickelt wird. Der 300 Meter lange "Freie-Elektronen-Laser" ohne Spiegel ist der weltweit erste und einzige Röntgenlaser dieser Art. Seine Spitzenleistung ist 10 Milliarden mal höher als die der modernsten Röntgenquellen. Dafür sorgt ein supraleitender Teilchenbeschleuniger, der Elektronen auf höchste Energien beschleunigt. Spezielle Magneten zwingen die Elektronen dazu "im Gleichtakt" zu schwingen und dabei eine Folge von Röntgenlichtblitzen auszusenden. Diese kurzen, intensiven Blitze eröffnen ungeahnte Einblicke in die chemischen Vorgänge innerhalb lebender Zellen sowie in Molekülen und Werkstoffen. Prof. Dr. Jochen Schneider vom Forschungslabor HASYLAB berichtet hierüber anläßlich der Frühjahrstagung der Deutschen Physikalischen Gesellschaft vom 22. - 26. März in Münster.
Das Licht des Freie-Elektronen-Lasers wird nach Intensität und Qualität alle bisherigen Quellen um ein Vieltausendfaches übertreffen. Damit eröffnen sich ungeahnte Forschungsperspektiven - nicht nur dort, wo bislang "herkömmliche" Röntgenstrahlen eingesetzt werden. Dank der hohen Intensität des neuen Röntgenlasers lassen sich beispielsweise komplexe Vorgänge in der Natur in der Gasphase untersuchen. Wichtig dabei ist auch die extrem kurze Dauer der Röntgenblitze: Das zeitliche Auflösungsvermögen ist so hoch, daß sich der Ablauf von chemischen Reaktionen in Momentaufnahmen mit atomarer Auflösung verfolgen läßt. Daraus ergibt sich eine Fülle von Anwendungen. In der Materialforschung beispielsweise lassen sich detaillierte Einblicke in den Aufbau und die Verhaltensweise von Werkstoffen gewinnen - und damit sehr gezielt Materialien mit den gewünschten Eigenschaften entwickeln. Auch katalytische Reaktionen und biologische Vorgänge können mit bislang unvorstellbarer Genauigkeit verfolgt werden. Damit eröffnen sich heute noch kaum absehbare Möglichkeiten auf - für die Grundlagenforschung ebenso wie für gezielte Anwendungen in Kooperation mit Industriepartnern.
Neue Technologie für ungeahnte Einblicke
Der neue Röntgenlaser bei DESY wird als sogenannter "Freie-Elektronen-Laser" (FEL) gebaut und arbeitet nach dem "SASE-Prinzip" (Self-Amplified Spontaneous Emission). Dieser braucht kompakte, sehr energiereiche Elektronenpakete, die nur mit einem Teilchenbeschleuniger erzeugt werden können. Ein Vorteil des FEL: Die Wellenlänge der intensiven Röntgenstrahlung kann innerhalb eines großen Spektralbereichs gewählt werden. Die kürzeste Wellenlänge des Röntgenlasers bei DESY liegt bei 6 Nanometer (ein Nanometer ist ein millionstel Millimeter). Dieser Bereich des Spektrums wird Vakuum-Ultraviolett (VUV) genannt. Daher ist die neue Anlage besonders viel-seitig und läßt sich für ganz unterschiedliche Fragestellungen und Experimente nutzen.
Ermöglicht wird der Bau des neuen Röntgenlasers durch die neue supra-leitende TESLATechnologie, die für die nächste Generation von Teil-chen-beschleunigern entwickelt wurde (TESLA: TeV-Energy Superconducting Linear Accelerator). Sie ist so leistungsfähig, daß kompakte und haarfeine Elektronenpakete auf die erforderliche hohe Energie beschleunigt werden können. Der "Freie-Elektronen-Laser" ist daher völlig anders aufgebaut als Laser für sichtbares Licht. Er besteht aus dem 300 Meter langen TESLA-Testbeschleuniger mit einer speziellen Magnetstruktur, dem Undulator. Die hochenergetischen Elektronen fliegen mit nahezu Lichtgeschwindigkeit im Undulator auf einem genau berechneten Schlingerkurs. Dabei senden die Teilchen spontan Röntgenstrahlung aus.
Elektronen im Gleichtakt
Das SASE-Prinzip des Röntgenlasers beruht auf folgendem Effekt: Die spontan entstehende Strahlung ist etwas schneller als die Elektronen und wirkt auf die vor ihr fliegenden Teilchen ein. Dadurch werden einige Elektronen abgebremst, andere beschleunigt. So entstehen in den Paketen Verdichtungen von Elektronen, die in der nächste Kurve der Schlingerbahn noch intensiver strahlen - und somit noch stärker auf andere Elektronen einwirken. Ein sich selbst verstärkender Effekt!
Letztlich werden die Elektronenpakete des Beschleunigers auf ihrem Schlingerkurs zu einer Reihe von Mini-Paketen umgeformt, die hohe Ansprüche zu erfüllen haben: Sie sollen kleiner als die Röntgenwellenlänge sein und ihre Abstände zueinander müssen präzise der Röntgenwellenlänge entsprechen. Zudem sollten die winzigen Pakete noch möglichst viele Elektronen enthalten, damit die entstehende Strahlung besonders intensiv wird.
Das Funktionsprinzip des Freie-Elektronen-Lasers wird erstmals 1999 bei DESY an der 300 Meter langen TESLA-Pilotanlage getestet, mit der auch die Techniken für den geplanten 33 Kilometer langen TESLA-Beschleuniger entwickelt und erprobt werden. Derzeit wird in Hamburg der Tunnel gebaut, in dem der Testbeschleuniger und der dazugehörige Undulator aufgestellt werden. Am Ende des Tunnels entsteht eine Experimentierhalle, in der ab 2003 Wissenschaftler aus aller Welt mit dem neuen Röntgenlaser arbeiten werden.
In den nach der Testphase geplanten großen TESLA-Beschleuniger lassen sich sogar mehrere Röntgenlaser integrieren. Ein neuartiges interdisziplinäres Forschungs- und Entwicklungszentrum könnte entstehen, wo verschiedene Forschergruppen gleichzeitig mit den neuen Laserstrahlen arbeiten könnten - an ganz unterschiedlichen Fragestellungen und Experimenten zu Themen aus Physik, Chemie, Material- und Geowissenschaften, Molekularbiologie und Medizin.
Hinweis: Für die Öffentlichkeit wird der 300 Meter lange supraleitende Röntgenlaser im Rahmen einer Ausstellung in Hamburg zur EXPO-2000 vom 1. Juni bis zum 31. Oktober 2000 zu besichtigen sein. Willkommen ist jeder - auch ohne Eintrittskarte für die EXPO 2000 in Hannover. Besondere Vorkenntnisse sind nicht erforderlich.
Informationen zur DESY-Expo finden Sie im Internet unter:
http://www.desy.de/expo2000/
Weitere Informationen:
Pressestelle des Forschungszentrums DESY
Ralf Krenzin, Tel.: 040 8998-4597
Ute Wilhelmsen, Tel.: 040 8998-4977
Fax: 040 8998-4307
E-Mail:
Prof. Dr. Klaus Wandelt
Institut für Physikalische Chemie der Universität Bonn
Tel.: 0228 732253
Fax.: 0228 732515
E-Mail:
Die Deutsche Physikalische Gesellschaft e. V. (DPG), deren Tradition bis in das Jahr 1845 zurückreicht, ist die älteste nationale und mit über 62.000 Mitgliedern auch größte physikalische Fachgesellschaft der Welt. Als gemeinnütziger Verein verfolgt sie keine wirtschaftlichen Interessen. Die DPG fördert mit Tagungen, Veranstaltungen und Publikationen den Wissenstransfer innerhalb der wissenschaftlichen Gemeinschaft und möchte allen Neugierigen ein Fenster zur Physik öffnen. Besondere Schwerpunkte sind die Förderung des naturwissenschaftlichen Nachwuchses und der Chancengleichheit. Sitz der DPG ist Bad Honnef am Rhein. Hauptstadtrepräsentanz ist das Magnus-Haus Berlin. Website: www.dpg-physik.de