Pressemitteilung
der Deutschen Physikalischen Gesellschaft
Die "Top Nine" der Physik in den Physik-Charts: Die Preisträger 2001
Seit 1929 verleiht die Deutsche Physikalische Gesellschaft (DPG) die Max-Planck-Medaille für außergewöhnliche Leistungen in theoretischer Physik. Zu den ersten Preisträgern gehörte, neben dem Namensgeber, auch Albert Einstein. Weitere Auszeichnungen würdigen unter anderem herausragende Verdienste in experimenteller Physik und die Arbeit von Nachwuchswissenschaftlern. In diesem Jahr vergibt die DPG insgesamt neun Auszeichnungen, darunter auch einen Schülerpreis. Unter den Arbeitsfeldern der Preisträger treten zwei Schwerpunkte besonders hervor: Die Physik der kondensierten Materie, d. h. die Erforschung der festen und "weniger" festen Stoffe, und die Teilchenphysik. Einige der Preise werden gemeinsam mit Fachgesellschaften aus Großbritannien, Frankreich und Polen verliehen. Die Ehrung der Preisträger erfolgt im März auf der Frühjahrstagung der DPG in Hamburg.
Quanten und Festkörper: Prof. Dr. Jürg Fröhlich (54) von der ETH Zürich erhält die Max-Planck-Medaille für seine herausragenden Beiträge zur theoretischen Physik. Die Forschungsinteressen des gebürtigen Schweizers reichen von der Quantenfeldtheorie bis zur Physik der kondensierten Materie. Von Jürg Fröhlich stammen unter anderem wichtige Arbeiten zur Theorie der elektromagnetischen Wechselwirkung (Quantenelektrodynamik). Im Quartett der fundamentalen Naturkräfte dirigiert die elektromagnetische Wechselwirkung nicht nur das Zusammenspiel von Licht und elektrisch geladenen Elementarteilchen, sie sorgt auch dafür, dass "Strom aus der Steckdose" fließt. Wichtige Akzente hat Fröhlich außerdem in der Festkörperphysik gesetzt. Er entwickelte beispielsweise eine Theorie des "fraktionierten Quanten-Hall-Effekts": Sie beschreibt das Verhalten von Festkörper-Elektronen in einem sehr starken Magnetfeld bei Temperaturen nahe des absoluten Nullpunkts (minus 273,15 Grad Celsius).
Kernfragen: Mit der Stern-Gerlach-Medaille für hervorragende Leistungen in experimenteller Physik wird Prof. Dr. Achim Richter (60) von der Technischen Universität Darmstadt ausgezeichnet. Die DPG würdigt hiermit seine Beiträge zur Kernphysik; insbesondere auf dem Gebiet angeregter Atomkerne gilt Richter als internationale Kapazität. Eine prominente Entdeckung aus seiner Arbeitsgruppe ist die so genannte "Scherenmode". Bei dieser Kernanregung treten - ähnlich zweier Tänzergruppen beim Formationstanz - die Protonen und Neutronen des Atomkerns als Kollektive auf und bewegen sich in charakteristischer Weise zueinander. Über die Kernphysik hinaus hat Richters Arbeit am Darmstädter Teilchenbeschleuniger S-DALINAC auch der Strahlungs- und Festkörperphysik wichtige Impulse gegeben.
Im Zeitraffer: Den Gustav-Hertz-Preis für herausragende Nachwuchswissenschaftler erhält Dr. Thomas G. Dekorsy (35) vom Forschungszentrum Rossendorf. Der Schwerpunkt seiner Forschungsarbeiten liegt in der Festkörper- bzw. Halbleiterphysik. Besonders bemerkenswert sind seine jüngsten Studien über das Zusammenspiel von Elektronen und Gitterschwingungen in Halbleiterstrukturen: Mittels Ultrakurzzeitspektroskopie, d. h. über Laserpulse mit einer Dauer vom Bruchteil einer Billionstel Sekunde, wies Thomas Dekorsy erstmals "gekoppelte Bloch-Phonon-Oszillationen" nach. Bei diesem Phänomen bewegen sich die Atome des Festkörpers im Takt elektronischer Ladungsschwankungen kollektiv um ihre Ruhelage. Im Experiment dienten die Laserpulse zur Anregung der Schwingungen und als Stroboskopblitze, mit denen sich die extrem schnellen Oszillationen verfolgen ließen. Die preisgekrönten Arbeiten entstanden am Institut für Halbleitertechnik der RWTH Aachen, über die Grundlagenforschung hinaus sind sie auch für die Optoelektronik von Bedeutung. Seit Juli 2000 arbeitet Thomas Dekorsy als Abteilungsleiter am Forschungszentrum Rossendorf.
Auf den Punkt gebracht: Dr. Manfred Bayer (35) von der Universität Würzburg wird mit dem Walter-Schottky-Preis ausgezeichnet - für seine grundlegenden Arbeiten auf dem Gebiet der kondensierten Materie, speziell der optischen Eigenschaften von Halbleiter-Mikroresonatoren. Mittels Halbleitertechnologie können mikroskopische Strukturen hergestellt werden, in denen sich Licht zum einen einsperren lässt ("photonische Punkte") - in gewisser Weise ähnlich dem Strahlungsfeld innerhalb eines Mikrowellen-Ofens -, zum anderen können sich innerhalb des Resonators nur bestimmte Schwingungsformen des Lichtes ausbreiten. Derartige Halbleiter-Strukturen sind interessante Modellsysteme, denn individuelle photonische Punkte zeigen ähnliche optische Eigenschaften wie einzelne Atome. Manfred Bayer konnte unter anderem zeigen, dass das optische Spektrum gekoppelter photonischer Punkte Analogien zu Molekülen aufweist und dass bei Verknüpfung vieler Resonatoren so genannte Bänder entstehen, wie sie von photonischen Kristallen bekannt sind. Mit solchen Kristallen lässt sich Licht in ähnlicher Weise manipulieren, wie es in der Halbleiterelektronik mit Elektronen möglich ist. Durch ihren engen Bezug zur Optoelektronik sind Manfred Bayers Arbeiten auch von technologischem Interesse.
Multitalent und Meister der Vermittlung: Der Robert-Wichard-Pohl-Preis geht an Prof. Dr. Werner Martienssen (75) für seine Beiträge zur Vermittlung der Physik und die zahlreichen Arbeiten auf unterschiedlichsten Forschungsgebieten von der Festkörperphysik bis zur Quantenoptik. Werner Martienssen, aus dessen Schule die Nobelpreisträger Gerd Binnig und Horst Stoermer hervorgingen, arbeitete von 1961 bis zu seiner Emeritierung 1994 als Lehrstuhlinhaber für Experimentalphysik an der Universität Frankfurt/Main. Er ist Autor und Herausgeber diverser Lehrbücher und Nachschlagewerke. Berühmt sind seine Vorlesungen, die er mit spektakulären Demonstrationsexperimenten zu würzen wusste. Für sein Engagement um die Forschungsförderung und die Belange der Hochschule wurde Martienssen mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt.
Festkörper und Computer-Simulationen: Prof. Dr. Volker Heine (70) erhält den Max-Born-Preis, den die DPG zusammen mit dem britischen Institut of Physics verleiht. Die Auszeichnung würdigt seine wesentlichen Beiträge zur theoretischen Festkörperphysik, insbesondere seine Arbeiten zur elektronischen Struktur der kondensierten Materie. Der gebürtige Hamburger wuchs in Neu Seeland auf. Bis zu seiner Emeritierung 1997 arbeitete Volker Heine am Cavendish Laboratory der University of Cambridge. Wichtige Anstöße gab Volker Heine unter anderem der Grenzflächenphysik und der Mineralogie. Während seiner Promotion in den fünfziger Jahren nutze er den ersten in Europa allgemein zugänglichen Großrechner, später entwickelte er sich zu einem Pionier der Computer-Simulation. Besonders auf diesem Gebiet unterstützte er über Jahre hinweg den wissenschaftlichen Nachwuchs durch die Organisation entsprechender Workshops und Konferenzen.
Materie und Antimaterie: Der Gentner-Kastler-Preis, den die DPG zusammen mit der Société Française de Physique verleiht, geht an Prof. Dr. Konrad Kleinknecht (60) von der Universität Mainz. Kleinknecht, der seit vielen Jahren auch am Teilchenlabor CERN bei Genf arbeitet, wird für seine Beiträge zum Verständnis der feinen Unterschiede zwischen Materie und Antimaterie ausgezeichnet. 1990 erhielt er bereits den renommierten Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Wie ein roter Faden zieht sich durch Kleinknechts Laufbahn sein Interesse für die so genannte schwache Wechselwirkung, vor allem für die CP-Symmetrie und ihre Verletzung. Die "CP- Symmetrie" ist eine spezielle Eigenschaft, die Materie und Antimaterie miteinander verknüpft. Ihre Verletzung wirkt sich besonders deutlich auf den Zerfall der kurzlebigen K-Mesonen aus. Kleinknechts Studien dieser außergewöhnlichen Teilchen haben wesentlich zur Erforschung der schwachen Wechselwirkung - eine der vier fundamentalen Naturkräfte - beigetragen. Der CP-Verletzung wird eine zentrale Rolle während der Frühzeit des Universums zugeschrieben. Ungeklärt ist bis heute, ob sich die CP-Verletzung in allen Einzelheiten mit Hilfe der gültigen Theorie der Elementarteilchen ("Standardmodell") erklären lässt.
Teilchenphysik: Prof. Dr. Janusz A. Zakrzewski (68) von der Universität Warschau wird mit dem Smoluchowski-Warburg-Preis ausgezeichnet, den die DPG gemeinsam mit der Polnischen Physikalischen Gesellschaft verleiht. Der polnische Kern- und Teilchenphysiker ist ein international anerkannter Experte für Hyperkerne. Bei diesen künstlich hergestellten Atomkernen sind ein oder zwei Bausteine (Nukleonen) durch exotische Elementarteilchen ersetzt. Solche "Kuckuckseier" helfen dabei, die Eigenschaften des Atomkerns auszuloten. Zakrzewski führt seit vielen Jahren Experimente am Teilchenbeschleuniger DESY bei Hamburg durch, er arbeitete außerdem am Genfer CERN-Labor. In jüngster Zeit hat er sich unter anderem der Struktur des Protons gewidmet.
Engagierter Nachwuchs: Den Schülerpreis erhalten die Teilnehmer der 31. Internationalen Physikolympiade in Leicester (Großbritannien): Tobias Fritz, Nadine Große, Sebastian Höppner, Stefan Pauliuk und Adrian Sauerbrey. Ebenfalls ausgezeichnet werden Corinna Burghardt, Patrick Kerner, Bernd Kaifler, Matthias Karl und Christian Höppner. Diese Equipe belegte Platz zwei beim 13. International Young Physicists' Tournament. An dem Wettbewerb, der letzten Sommer in Budapest stattfand, beteiligten sich insgesamt 16 Schülerteams aus 15 Ländern.
Die Deutsche Physikalische Gesellschaft e. V. (DPG), deren Tradition bis in das Jahr 1845 zurückreicht, ist die älteste nationale und mit rund 55.000 Mitgliedern auch mitgliederstärkste physikalische Fachgesellschaft der Welt. Als gemeinnütziger Verein verfolgt sie keine wirtschaftlichen Interessen. Die DPG fördert mit Tagungen, Veranstaltungen und Publikationen den Wissenstransfer innerhalb der wissenschaftlichen Gemeinschaft und möchte allen Neugierigen ein Fenster zur Physik öffnen. Besondere Schwerpunkte sind die Förderung des naturwissenschaftlichen Nachwuchses und der Chancengleichheit. Sitz der DPG ist Bad Honnef am Rhein. Hauptstadtrepräsentanz ist das Magnus-Haus Berlin. Website: www.dpg-physik.de