Pressemitteilung
der Deutschen Physikalischen Gesellschaft
Die Deutsche Physikalische Gesellschaft im Nationalsozialismus
Workshop im Berliner Magnus-Haus
Im Frühjahr hat die Deutsche Physikalische Gesellschaft (DPG) ein Forschungsvorhaben gestartet, das sich mit der Rolle der DPG im Nationalsozialismus beschäftigt. Der US-amerikanische Historiker Mark Walker (Union College, im Bundesstaat New York) wirkt als von der DPG unabhängiger Projektleiter. Im Rahmen der auf etwa drei Jahre angelegten Studie sind mehrere Workshops geplant. Das erste Symposium findet vom 14. bis 15. Dezember 2001 im Berliner Magnus-Haus statt.
Albert Einstein verließ Deutschland noch vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten, die Österreicherin Lise Meitner flüchtete 1938 nach Holland, der Niederländer und DPG-Vorsitzende Peter Debye emigrierte 1940 in die USA. Die Situation der Physik während der NS-Zeit prägten zum einen Flucht und Vertreibung und zum anderen die Konfrontation zwischen den Anhängern der so genannten "Deutschen Physik", die sich an die klassische Physik des 19. Jahrhunderts anlehnte, und den Verfechtern der modernen Physik - namentlich Quantenmechanik und Relativitätstheorie. Obwohl vieler prominenter Köpfe beraubt, kam der wissenschaftliche Betrieb keineswegs zum Erliegen. Elektronenoptik und Akustik zählten zu den Themen der Zeit, ganz zu schweigen von der Kernphysik und der Arbeit im Dienste der Kriegsmaschinerie.
Allerdings: "Über die spezielle Rolle der DPG im politischen Handlungs- und Machtgefüge des Dritten Reiches weiß man nur wenig", erklärt Dieter Hoffmann, Vorsitzender des Fachverbands "Geschichte der Physik" und Co-Direktor des Forschungsprojekts. Im Archiv der DPG sind nicht viele Dokumente aus der Zeit überliefert. Geschichtsforschung ist in erster Linie Quellenstudium. So hoffen die Projektverantwortlichen noch auf manchen aufschlussreichen Nachlass einstiger DPG-Mitglieder - alte Unterlagen, die zurzeit vielleicht auf dem Dachboden verstauben. "Deshalb bitten wir darum, uns auf solche Dokumente aufmerksam zu machen", betont Hoffmann, der am Berliner Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte arbeitet. Ungeahnte Schätze könnten noch in mancher Familienschatulle schlummern. Vielleicht auch in Übersee: Bereits vor einiger Zeit sind die Historiker in den Archiven des American Institute of Physics auf Aufzeichnungen über die DPG gestoßen. Sie gehen zurück auf die ALSOS-Mission, ein britisch-amerikanisches Unternehmen im Tross der vorrückenden Alliierten. Hauptaufgabe des ALSOS-Teams war es, Informationen über das deutsche Atomprogramm zu sammeln.
Vom Workshop im Magnus-Haus versprechen sich Hoffmann und Projektleiter Walker eine Bestandsaufnahme der bisherigen Forschung, außerdem sollen die Fragen präzisiert werden, denen das Projekt in den kommenden Jahren nachgehen wird. Zum Abschluss der Studie ist ein Sammelband mit Essays vorgesehen. Etwa 50 Teilnehmer werden in Berlin erwartet. Unter den Gästen aus dem Ausland ist ein Pionier der Forschung über die NS-Zeit: Allan Beyerchen. Der Amerikaner veröffentlichte 1977 das Standardwerk "Wissenschaftler unter Hitler".
Interessierte sind zu diesem Workshop herzlich eingeladen.
Kontakt und Anmeldung:
Dr. Dieter Hoffmann
Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte
Wilhelmstraße 44
10117 Berlin
Tel.: 030/22667 - 117
Fax: 030/22667 - 299
E-Mail:
Die Deutsche Physikalische Gesellschaft e. V. (DPG), deren Tradition bis in das Jahr 1845 zurückreicht, ist die älteste nationale und mit über 62.000 Mitgliedern auch größte physikalische Fachgesellschaft der Welt. Als gemeinnütziger Verein verfolgt sie keine wirtschaftlichen Interessen. Die DPG fördert mit Tagungen, Veranstaltungen und Publikationen den Wissenstransfer innerhalb der wissenschaftlichen Gemeinschaft und möchte allen Neugierigen ein Fenster zur Physik öffnen. Besondere Schwerpunkte sind die Förderung des naturwissenschaftlichen Nachwuchses und der Chancengleichheit. Sitz der DPG ist Bad Honnef am Rhein. Hauptstadtrepräsentanz ist das Magnus-Haus Berlin. Website: www.dpg-physik.de