Pressemitteilung
der Deutschen Physikalischen Gesellschaft
Blick ins Herz der Materie
Tagung der Deutschen Physikalischen Gesellschaft in Frankfurt
Frankfurt, 13. März 2006 – Materielle Dinge stehen im Zentrum der Frühjahrstagung der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (DPG) in Frankfurt, und das wortwörtlich. Atome, Moleküle und die seltsame Quantenwelt, in der sie leben, stehen auf der Agenda der rund 1200 Experten, die vom 13. bis 17. März auf dem Campus Bockenheim der Uni Frankfurt zusammenkommen. Inhaftierte Elektronen für Quantenprozessoren und Ammoniakschnüffler für Wasserstofffahrzeuge, Laser zur Krebsbehandlung und Moleküle in elektronischen Schaltkreisen – nur eine kleine Auswahl der breit gefächerten Themenpalette. Doch nicht nur druckfrische Forschungsergebnisse, auch vergangene Meisterleistungen sollen gewürdigt werden. So sind gleich drei historische Symposien den Atom- und Kernphysik-Pionieren Maria Goeppert Mayer, Hans Bethe und Wolfgang Gentner gewidmet. (Foto: L. Wöste, FU Berlin)
Unentdecktes aufspüren – ein Schwerpunkt der Frankfurter Tagung liegt auf der Beobachtung und dem Standardwerkzeug wissenschaftlicher Spurenermittler: dem Massenspektrometer. In ihm durchlaufen geladene Teilchen einen Parcours aus elektromagnetischen Feldern und unterziehen sich dabei einer Art „Ionen-Volkszählung“. Per Auslese nach Teilchenmasse respektive Energie kommt man so gesuchten Gaskomponenten schnell auf die Spur. Klingt komplex und prädestiniert für den wissenschaftlichen Elfenbeinturm, leistet jedoch einiges für unseren Alltag – so ist nur einer der vielen Einsatzorte des Deutschen liebstes Kind: das Auto. Dabei geht es nicht nur um Schadstoffnachweise im gemeinen Verbrennungsmotor, sondern auch um Diagnoseverfahren für die Antriebe zukünftiger Wasserstoffautos. Laser sind wichtige Bauteile in den Geräten der Massenspektrometrie; in der Hauptrolle als optische Messfühler leiten sie hingegen selber die Untersuchung. Sowohl unterirdisch auf der Suche nach Verwerfungen der Raumzeit – den Gravitationswellen – als auch überirdisch auf Entdeckungsreise in der Wetterküche unserer Atmosphäre. Mit Lasern der Terawatt-Klasse – milliardenfach leistungsstärker als ein Stadionscheinwerfer – brennen der Berliner Ludger Wöste und sein Team feinste Plasmakanäle in die Luft, deren Leuchtspuren nicht nur von der Zusammensetzung der Atmosphäre berichten und zur Regenvorhersage taugen, sondern auch perfekte drahtlose Blitzableiter abgeben. Licht kann aber noch mehr – was genau, das zeigen u. a. Physiker aus Kansas und Bayern. Bei US-Amerikaner Charles Lewis Cocke arbeiten kürzeste Laserpulse in so genannten Reaktionsmikroskopen – eine Art Hightech-Kamera für die Bewegung flinker Elementarteilchen. Mit Verschlusszeiten Billionen Mal kürzer als die Zeit, die eine Stubenfliege für einen Flügelschlag braucht, liefern Reaktionsmikroskope nicht nur Standbilder der atomaren Mikrowelt, sondern ganze Bewegungsmuster auseinander stiebender Teilchenwolken. Verglichen damit wirkt das, was ein Münchner Forscherteam mit Laserlicht ins Visier nimmt schon fast profan: Sie beschießen Eis – genauer gesagt überwinden sie dessen Schmelzpunkt. Die Gruppe um Marcus Schmeisser kann nämlich mit Laserpulsen Eis auf Zimmertemperatur erhitzen, ohne dass es sofort schmilzt. Dieser Zustand hält zwar nur eine Milliardstel Sekunde, ermöglicht Forscheraugen aber trotzdem einen intensiven Blick auf die so genannten Wasserstoffbrückenbindungen. Und die halten nicht nur Wasser zusammen, sondern geben auch Proteinen und sogar unserer Erbsubstanz die nötige Stabilität. Sowieso sind Biophysik und Medizin die kommenden großen Einsatzfelder leistungsstarker „Lichtmaschinen“. So erzeugen Laser bereits heute schnelle Protonenstrahlen, die ihre Bewegungsenergien punktgenau in Tumoren entladen. Und mit Wellenlängen im Terahertzbereich – zwischen den Mikrowellen und dem Infraroten angesiedelt – nehmen sie Fingerabdrücke von Biomolekülen und morgen vielleicht schon Flugpassagiere genauer unter die Lupe. Terahertz-Licht kann Kleidungsschichten nämlich mühelos durchdringen – perfekt für neuartige Sicherheitshürden an Flughäfen, die Passagiere quasi im Vorbeigehen auf Sprengstoff und Waffen durchleuchten können. Qubits – heute noch Fachbegriff, in Zukunft aber vielleicht Teil unserer Alltagssprache. Wie künftige PCs mit quantenmechanischen Teilchenzuständen um ein Vielfaches schneller rechnen können als heutige Supercomputer und molekulare Elektronik neue Rekorde in Sachen Miniaturisierung brechen wird, zeigen Experten wie der Schweizer Marcel Mayor. Dass kalt gestellte Atome jedoch nicht nur gute Rechensklaven abgeben, sondern auch ruhiger und vor allen Dingen sehr viel geselliger sind als normalerweise, darauf verweisen zwei Quanten-Profis aus Innsbruck und Mainz. Rudi Grimm – just zum österreichischen „Forscher des Jahres“ gekürt – und Leibniz-Preisträger Immanuel Bloch berichten aus der Welt der Quantengase, jenen ultrakalten Teilchenkonglomeraten, die knapp über dem absoluten Nullpunkt ein ganz erstaunliches Gruppenverhalten entwickeln. Eine Gesamtübersicht über das Jahrhundert zwischen Einsteins legendärer Arbeit zum Photoeffekt und der modernen Quantenoptik liefert Immanuel Bloch am Mittwoch, dem 15. März. Die Zeitreise beginnt um 20:00 Uhr in den Hörsälen V und VI des Hörsaalgebäudes der Uni Frankfurt (Mertonstr. 17). Der Eintritt ist frei. Ebenfalls zurück in das 20. Jahrhundert schauen drei historische Symposien des Kongresses, die sich mit dem Lebenswerk und den Spezialgebieten dreier Jubilare auseinandersetzen, die in diesem Jahr 100 Jahre alt geworden wären. Maria Goeppert Mayer, Hans Bethe, Wolfgang Gentner – sie alle haben die moderne Physik entscheidend geprägt. Maria Goeppert Mayer entwickelte das Schalenmodell des Atomkerns. Hans Bethe erkannte als Erster, woher die Energie der Sterne kommt. Und der Kernphysik-Pionier Wolfgang Gentner schließlich ist untrennbar mit der größten Maschine der Welt verbunden: 1954 wurde er der erste Forschungsdirektor des CERN, für dessen Gründung er sich stark eingesetzt hatte. Doch noch eine andere Seite der drei VIPs kommt in Frankfurt zur Sprache: der Einfluss ihrer Arbeit auf Politik und Gesellschaft. Neben den Stars der Vergangenheit trifft man auf dem Frankfurter Kongress aber auch die der Zukunft. Sie heißen Nanodiamanten und Metamaterialien. Während die Erstgenannten schon heute für die Pharmaindustrie arbeiten, steht der Alltagseinsatz der synthetischen Metamaterialien noch aus. Diese neue Generation von Verbundwerkstoffen hat dank ihrer Gitterstruktur aus kleinsten Resonatoren ganz besondere optische Eigenschaften inne. DPG-Preisträgerin Ekaterina Shamonina zeigt, wie diese Fähigkeiten schon bald Medizin und Satellitenkommunikation revolutionieren könnten.