27.03.2006

Press Release

der Deutschen Physikalischen Gesellschaft

Dresden lädt zum physikalischen Gipfeltreffen

4.000 Fachleute diskutieren über neue Materialien, Biomoleküle und La-Ola-Wellen

Dresden, 27. März 2006 – Mit rund 4.000 Teilnehmern aus dem In- und Ausland hat heute in Dresden der weltweit zweitgrößte Physikkongress des Jahres begonnen. Den Schwerpunkt des Programms bildet die Festkörperphysik, wobei das Themenspektrum vom Quantencomputer über Nanodrähte für chemische Spürnasen bis zu den Datenspeichern der Zukunft reicht. Darüber hinaus widmen sich zahlreiche Vorträge biophysikalischen Fragen – etwa der molekularen Maschinerie des menschlichen Gehörs. Als weiteres Themengebiet ist die „Physik sozio-ökonomischer Systeme“ vertreten; dabei geht es um Massenphänomene wie „La-Ola-Wellen“, Online-Auktionen und die Verbreitung von Banknoten. Angesichts des internationalen Publikums ist die Kongresssprache Englisch. Zum Begleitprogramm in deutscher Sprache gehören ein öffentlicher Abendvortrag zur „Physik von Star Trek“ und eine Vortragsreihe für Lehrerinnen und Lehrer. Feierlicher Höhepunkt ist eine Festssitzung am 29. März mit dem sächsischen Ministerpräsidenten Georg Milbradt.

Veranstalter des Mammuttreffens sind die Deutsche Physikalische Gesellschaft (DPG) und die European Physical Society (EPS). Gastgeber ist die Technische Universität Dresden, verantwortlich für die lokale Organisation das Leibniz-Institut für Festkörper- und Werkstoffforschung (IFW Dresden).
(Foto: weltderphysik.de)

Hinweis: die Kennziffern einzelner Tagungsbeiträge sind im Folgenden in der Gestalt [HL 39.1] angegeben. Mithilfe von Kennziffer und Tagungsprogramm lassen sich Ort und Zeitpunkt eines Vortrags/Posters feststellen und einer Inhaltsangabe zuordnen.

Rechnende Quanten: Selbst die leistungsfähigsten Computer werden bei manchen Aufgaben ausgebremst – sei es das Knacken von Geheimcodes oder das Durchstöbern umfangreicher Datenbanken. „Quantencomputer“ könnten hier Abhilfe schaffen, denn von ihnen werden atemberaubende Rechengeschwindigkeiten erwartet. Der Clou liegt im Prinzip der Informationsverarbeitung: statt mit üblichen Bits jonglieren Quantencomputer mit „Quantenbits“, kurz Qubits genannt. Diese beruhen auf dem Phänomen der Überlagerung, wonach Quantenobjekte – wie Elektronen oder Ionen – gleichzeitig in verschiedenen Zuständen existieren können. Werden einzelne Quantenbits noch passend miteinander gekoppelt („verschränkt“), lassen sich zahllose Rechenoperation gleichzeitig ausführen – und das bringt Tempo. Noch ist es bis dahin ein langer Weg. Allem voran steht die Frage: wie werden Qubits praktisch realisiert? Das Innsbrucker Team um Rainer Blatt (Vortrag: Dienstag, 28.3., 9:30 Uhr, [DY 20.1]) setzt auf Ionen, die in einem elektromagnetischen Käfig gefangen sind. Damit erzeugten die Österreicher Ende 2005 den ersten Quantenpendant zum klassischen Byte: das „Quantenbyte“. Indes verfolgt die Forschergruppe des Baselers Daniel Loss (Vortrag: Dienstag, 28.3., 8:30 Uhr, [PT V]) einen anderen Ansatz. Herzstück der Hardware sind in diesem Fall Quantenpunkte, eine besondere Klasse von Nanostrukturen, die auf einem Halbleiter-Chip untergebracht sind. In diese Miniaturgebilde lassen sich Elektronen einschleusen und gezielt manipulieren. Das magnetische Moment des Elektrons („Spin“) dient dann als Rechengröße.

Winzige Gebilde: Quantenpunkte sind allerdings nicht nur als Elemente von Quantencomputern im Gespräch; weiteres Einsatzgebiet ist die Lasertechnologie, denn Quantenpunkte können Licht in Frequenzbereiche ausstrahlen, die für übliche Halbleiterlaser bislang unerreichbar sind. Dieter Bimberg, Pionier der Quantenpunkt-Technologie, und Träger des diesjährigen Max-Born-Preises berichtet darüber am Montag (27.3., 13:15 Uhr, [PT III]).

Erleuchtete Reaktionen: Ultrakurze Laserblitze im Bereich von Attosekunden – dem Millardstel einer Milliardstelsekunde – sind eine Spezialität von Ferenc Krausz, Träger des Leibniz-Preises der Deutschen Forschungsgemeinschaft 2006. Am Donnerstag (30. März, 8:30 Uhr, [PT XII]) berichtet Krausz, wie sich solche Lichtblitze als superschnelle Zeitlupe einsetzen lassen, um die Bewegungen von Elektronen „auf Film“ zu bannen. Eine Anwendung derartiger Kurzzeitphysik: die Untersuchung chemischer Prozesse, die meist in rasantem Tempo vonstatten gehen.

Frostige Phänomene: Nahe des Absoluten Nullpunkts (minus 273,15 Grad Celsius) spielt die Natur seltsame Streiche. So kann neuesten Ergebnissen zufolge Helium - und offenbar auch Wasserstoff - bei solcher Kälte fest und gleichzeitig „supraflüssig“ sein. Was es damit auf sich hat, darüber berichtet am Montag (27. März, 8:30 Uhr, [PT I]) Moses H. W. Chan von der Penn State University. Diverse Symposien servieren von Montag bis Donnerstag ebenfalls „eiskalte Physik“. Dabei reicht die Themenpalette von elektrischen Schaltungen im Bann der Quantenphysik (Steven Girvin, Yale University, Vortrag: Montag, 27.3., 14:30 Uhr, [TT 10.1]) bis zur Hochtemperatur-Supraleitung [TT 27] – einer Variante des verlustfreien Stromtransports, die 20 Jahre nach ihrer Entdeckung noch immer Rätsel aufgibt.

Magnetische Stoffe: Am Mittwoch (29.3., 15:15 Uhr, [MA 22]) blickt ein Symposium einerseits zurück auf „50 Jahre Arbeitsgemeinschaft Magnetismus“ und schaut andererseits in die Zukunft. Unter den Vortragenden ist Peter Grünberg, Entdecker des Riesen-Magnetowiderstandseffekts – ein Phänomen, das heute in jeder Festplatte zum Einsatz kommt. J. Michael D. Coey vom Dubliner Trinity College wird über Permanentmagnete und deren Einsatz in mikro-elektromechanischen Bauteilen (MEMS) berichten [MA 22.2], der Dresdner Frank Steglich über den verlustfreien Stromfluss in unkonventionellen Supraleitern [MA 22.5]. Indes geht es am Donnerstag (30.3., 9:30 Uhr, [MA 23.1]) um magnetische Sensoren und Nanopartikel im Klinikalltag.

Geschrumpfte Leiter: Aus Molekülen gestrickte Schaltkreise sind ein Etappenziel auf dem Weg zu immer kleineren Bauteilen. Im Rahmen der Vortragsreihe „Molekulare Elektronik“ schildert am Dienstag (28. März, 9:30 Uhr, [TT 14.1]) Hongkun Park von der Harvard University, wie sich einzelne Moleküle als Transistoren einspannen lassen. Um eingeengten Stromtransport geht es auch beim Symposium „Nanodrähte“ am Mittwoch (29. März, 14:00 Uhr, [SYNW]). Ein Thema hier: Nanodrähte als chemische Spürnasen (Vortrag: Reginald M. Penner, University of California, Irvine).

Polymere Schaltkreise: Kunststoffmoleküle für intelligente Warenaufkleber und RFID-Chips (Vortrag: Walter Fix, PolyIC GmbH) oder als Lichtspender in Gestalt organischer Leuchtdioden (Christoph Gärditz, Siemens AG) sind Themen einer Vortragsreihe am Donnerstag (28. März, 11:00 Uhr, [CPP 19.5]).

Pfiffige Materialien: Nur ein Atom dicke Kohlenstoffschichten – „Graphene“ – sind ein viel versprechender Baustoff für die Elektronik der Zukunft. Was genau es mit dieser platten Variante der Nanotubes auf sich hat, schildert am Dienstag (28.3., 14:30 Uhr, [HL 17.1]) ein Pioneer des Fachgebiets: Andre Geim von der University of Manchester. Indes könnten Datenträger auf Basis von „Multiferroika“ magnetischen Speichermedien üblicher Machart den Rang ablaufen. Mit ihnen befasst sich ebenfalls am Dienstag (28.3., 14:30 Uhr, [SYMM]) ein Symposium, zudem stehen sie im Mittelpunkt des Plenarvortrages von Manfred Fiebig am Mittwoch (29.3., 11:00 Uhr, [PT X]). Fiebig erhält im Rahmen der Tagung den Walter-Schottky-Preis der DPG für seine Studien über Multiferroika. Ebenfalls im Visier der Forscher sind „Phase-Change-Materials“ und zwar als Ersatz herkömmlicher FLASH-Speicher. Mit dieser Thematik befasst sich am Montag (27.3., 11:15 Uhr, [DS 2.1]) Christoph Steimer von der RWTH Aachen. Über die Speicherung nicht von Bits und Bytes, sondern von Wasserstoff, spricht am Dienstag (28.3., 9:30 Uhr, [MM 11.1]) der Schweizer Andreas Züttel. Sein Vortragstitel: „The Materials Challenge for Hydrogen Storage“. Ekaterina Shamonina, Trägerin des Hertha-Sponer-Preises der DPG 2006, berichtet am Donnerstag (30.3., 11:00 Uhr, [HL 39.1]) über eine andere Materialklasse: Bei ihr geht es um „Metamaterialien“, synthetische Verbundwerkstoffe, die elektromagnetischen Wellen dank negativem Brechungsindex „anders herum“ ablenken. Mögliche Anwendungen liegen in der Medizin und in der Satellitenkommunikation.

Lebhafte Maschinen: Während der Mensch noch daran tüftelt, Motoren von molekularer Größe herzustellen, ist die Natur längst soweit: filigrane Proteingebilde sorgen für Bewegung, kopieren die Erbinformation und spielen bei der Zellteilung eine wichtige Rolle. Solche Phänomene, aber auch das Innenleben des menschlichen Gehörs, zählen zum Spezialgebiet von Frank Jülicher. Der Dresdner ist Träger des Robert-Wichard-Pohl-Preises der DPG. Sein Vortrag mit dem Titel „Biophysics of Cells: Active Matter in Motion“ findet am Montag statt (27.3., 9:45 Uhr, [PT II]). Weitere Themen aus der Biologischen Physik: die Erbsubstanz DNA als molekularer Baustoff (Andrew Tuberfield, Oxford, 30.3., 9:45, [AKB 20.1]), molekulare Maschinen im Angesicht „zellulärer Verkehrsstaus“ (30.3., 11:15 Uhr, [AKB 21.3]) sowie die Regulation der Gene (Pieter R. Ten Wolde, Amsterdam, 31.3., 11:00 Uhr, [AKB 26.1]). Außerdem berichtet Erich Sackmann (30.3., 13:15 Uhr, [PT XIII]) über jene elastische Hülle, die jede Körperzelle verpackt und an den Vorgängen des Lebens maßgeblich beteiligt ist: die Zellmembran. Sackmann wurde kürzlich mit dem Stern-Gerlach-Preis geehrt und ist somit Träger der höchsten DPG-Auszeichnung für Experimentelle Physik.

Massenhafte Ereignisse: Verkehrsströme, Börsenkurse und Epidemien haben eines gemeinsam: es sind Massenphänomene mit unzähligen Beteiligten. Seien es Autofahrer, Aktienhändler oder die Bevölkerung insgesamt betrachtet. Mit statistischen Methoden – die Grundlagen entstammen der Vielteilchenphysik– rücken Wissenschaftler dem kollektiven Geschehen zu Leibe. In den diesjährigen Beiträgen aus dem Bereich „Physik sozio-ökonomischer Systeme“ geht es unter anderem um das Auf- und ab der Finanzmärkte, Stauforschung sowie um die Ausbreitung von Sprachen (Montag, 27.3., 9:30 Uhr, [AKSOE 1.1]) und Dollar-Noten (Montag, 27.3., 12:30 Uhr, [DY 12.7]). Ein besonders weites Themenspektrum bietet eine Poster-Sitzung am Mittwoch (29.3., 16:00 Uhr). Im Angebot: die aus Fußballstadien bekannten La-Ola-Wellen [AKSOE 10.58] und Untersuchungen zum Sozialverhalten in Ghettos [AKSOE 10.65] sowie zur Lebensdauer von Regierungen [AKSOE 10.48]. Weiteres Thema, diesmal am Donnerstag (30.3., 17:00 Uhr): Online-Auktionen bei eBay [AKSOE 14.3].

Lehrreiche Veranstaltungen: Die traditionellen „Lehrertage“ [LT] bieten ein umfangreiches Vortragsprogramm rund um top-aktuelle Forschungsthemen – etwa aus Kosmologie und Quantenphysik – sowie Anregungen für den praktischen Unterricht. Die „Lehrertage“ finden am 31. März und am 1. April statt.