Gemeinsame Pressemitteilung
der Gesellschaft Deutscher Chemiker (GDCh), der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (DPG) und der Stadt Frankfurt am Main
Otto-Hahn-Preis 2011 an Manfred Reetz
Die Stadt Frankfurt, die Gesellschaft Deutscher Chemiker und die Deutsche Physikalische Gesellschaft ehren den herausragenden Chemiker am 22. November in der Paulskirche
Frankfurt am Main, 20. Juni 2011 - Der mit 50.000 Euro dotierte und gemeinsam von der Stadt Frankfurt, der Gesellschaft Deutscher Chemiker (GDCh) und der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (DPG) getragene Otto-Hahn-Preis wird in diesem Jahr am 22. November in der Frankfurter Paulskirche an Professor Dr. Manfred Reetz, Direktor der Abteilung für Organische Synthese am Max-Planck-Institut für Kohlenforschung in Mülheim/Ruhr, verliehen. Reetz gilt wegen seiner zahlreichen wichtigen Entwicklungen, die er in vielen Teilbereichen der Organischen Chemie anstieß, als einer der bedeutendsten deutschen Chemiker unserer Zeit und als international führender Vertreter des Fachs Organische Chemie. Herausragend sind seine Arbeiten insbesondere auf dem Gebiet der Katalyse. Er ist eine Forscherpersönlichkeit mit breitesten Interessen und unbändiger wissenschaftlicher Neugierde, ein wissenschaftlicher Visionär und zudem ein engagierter Mentor des wissenschaftlichen Nachwuchses. (Bild: MPI f. für Kohlenforschung)
Seit einigen Jahren befasst sich Reetz damit, die Molekularbiologie in die synthetische organische Chemie einzubringen; sein Arbeitsgebiet wird als „Chemische Evolution im Reagenzglas“ bezeichnet. Einen solchen indirekten evolutionären Ansatz für die organische Synthese zu erschließen, entspricht einem sensationellen Paradigmenwechsel im chemischen Denken. So hat er u.a. molekulare Mutationstechniken und statistische Suchverfahren für die In-vitro-Evolution von neuartigen enantioselektiven Enzymen entwickelt. Mit diesen hocheffizienten Katalysatoren gelingt es, organische Synthesen mit ausgezeichneter Selektivität und Ausbeute durchzuführen. So lassen sich mit Hilfe von enantioselektiven Enzymen Verbindungen gleicher Zusammensetzung, deren Strukturen sich aber wie Bild und Spiegelbild zueinander verhalten („Enantiomere“), nicht als Gemisch, sondern sortenrein erzeugen. Dies ist von enormer physiologischer und pharmakologischer Bedeutung, da jeweils nur eines der Enantiomere die gewünschte Wirkung entfaltet. Eine signifikante Erhöhung der katalytischen Aktivität gegenüber natürlichen Enzymen erzielte er auch durch deren Immobilisierung auf Trägermaterialien.
Als sehr bedeutend gelten auch jüngste Arbeiten von Reetz zur enzymatisch katalysierten Methan-Oxidation. Cytochrom-P450-Enzyme (CYP) können die Kohlenstoff-Wasserstoff-Bindung langkettiger Alkane unter Bildung der entsprechenden Alkohole oxidieren, doch versagen diese Enzyme bei kleinen Alkan-Molekülen, vor allem bei dem kleinsten, dem Methan. Als Hauptbestandteil von Erd- und Biogas wird Methan auch als Ausgangsstoff für Methanol hoch gehandelt. Diesem kleinsten Vertreter der Alkohole wird als chemischem Speichermedium in der derzeitigen Energiediskussion ein höchster Stellenwert beigemessen. Es gelang Reetz und seinen Mitarbeiter nun, CYP-Enzyme so zu modifizieren, dass sie in der Lage sind, die äußerst stabile Kohlenstoff-Wasserstoff-Bindung in Methan zu „knacken“. Dieses „CYP-Tuning“ könnte also einen neuen, vielversprechenden Weg zur Methan-Oxidation eröffnen.
Bereits seit längerem beschäftigt sich Reetz mit der homogenen Katalyse. Seine Arbeiten haben ihn auch hier zu neuen Katalysatorsystemen geführt, beispielsweise zu Monophosphiten für die asymmetrische Hydrierung. Für die Anwendung in der Katalyse und in den Materialwissenschaften studierte Reetz auch nanostrukturierte Metallcluster, wobei er Lösungen fand, diese Partikel in Größe und Form zu kontrollieren. Auch auf einem weiteren modernen Forschungsgebiet ist Reetz tätig: der Supramolekularen Chemie und der molekularen Erkennung. Zahlreiche seiner früheren Arbeiten gehören heute zum Standardrepertoire der Organischen Synthesechemie. Die Dimethylierung von Ketonen ist als „Reetz-Reaktion“ bekannt.
Reetz wurde 1943 in Hirschberg/Schlesien geboren. Ab 1952 lebte er in den USA, wo er auch sein Chemiestudium an der Washington University in St. Louis sowie an der University of Michigan in Ann Arbor absolvierte. An der Universität Göttingen wurde er promoviert, in Marburg habilitierte er sich. 1978 wurde er als C3-Professor an die Universität Bonn, 1980 als C4-Professor an die Universität Marburg und 1991 schließlich als Direktor ans Max-Planck-Institut für Kohlenforschung nach Mülheim berufen. Reetz hat bereits zahlreiche hochrangige Auszeichnungen und Preise erhalten, so den Otto-Bayer-Preis, den Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft, die Hans Herloff Inhoffen Medaille, den Karl-Ziegler-Preis, die Prelog Medaille und den Arthur C. Cope Award. Er ist Mitglied der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina (2007 bis 2011 Senator der Gesamtsektion Chemie), war langjähriges Mitglied des GDCh-Vorstands und 1995 GDCh-Vizepräsident.