Nukleare Abrüstung und Rüstungskontrollen dringender denn je
Ausgabe 58 | Juni 202 | „Rüstungskontrolle bleibt eine Überlebensfrage für die Menschheit.“ Lutz Schröter, Präsident der Deutschen Physikalischen Gesellschaft
Download: Physikkonkret 58 - Nukleare Abrüstung und Rüstungskontrollen dringender denn je [PDF]
- Die Gefahr eines nuklearen Kriegs ist unverändert hoch.
- Aufgrund zunehmender Rüstungskonkurrenz und der militärischen Nutzung neuer Technologien droht ein neues Wettrüsten.
- Physikerinnen und Physiker zeigen durch Modellierung die verheerenden Auswirkungen nuklearer Kriege und helfen bei der Entwicklung von Verifikationstechnologien.
Die Zahl der nuklearen Sprengköpfe hat sich nach Ende des Ost-West-Konfliktes zwar erheblich verringert, aber der Einsatz von Nuklearwaffen ist als globale Gefahr geblieben.1 Ein Nuklearwaffeneinsatz aus Versehen ist heute daher ebenso wenig ausgeschlossen wie ein beabsichtigter Einsatz.
Würde auch nur ein Prozent des bestehenden militärischen Nukleararsenals zum Einsatz kommen, hätte dies neben den unmittelbaren katastrophalen Konsequenzen wegen des Ausbruchs eines „Nuklearen Winters“ auch unabsehbare Folgen für das globale Klima und wegen der damit zusammenhängenden Ernteausfälle auf Ernährung und Lieferketten.2
Ein neues Wettrüsten kündigt sich an Neue technologische Entwicklungen im Bereich Quantentechnologien, Laserphysik, künstliche Intelligenz oder Materialwissenschaften sowie der Verlust von Rüstungskontrollregelungen heizen das Wettrüsten derzeit zusätzlich an. Zudem bleibt die Gefahr des Nuklearterrorismus bestehen.3
Neue Verifikationsverfahren sind nötig In der Deutschen Physikalischen Gesellschaft bearbeitet die Arbeitsgruppe Physik und Abrüstung4 Fragen der nuklearen Rüstungskontrolle und Abrüstung. Deren Mitglieder forschen u. a. zu Problemen der Risikofolgenabschätzung, der Verifikation von Abrüstungsverträgen und zur Nichtverbreitung nuklearer Waffensysteme und -Materialien. Mit Hilfe neuer Messmethoden für Radionuklide, mit Detektoren für Infra- und Hydroschall und mit seismischen Instrumenten lassen sich beispielsweise Verstöße gegen das Verbot von Nukleartests aufdecken.
Physikerinnen und Physiker arbeiten ferner daran, Verifikationsmessungen vorzunehmen, beispielsweise ob ein deklarierter Sprengkopf, der abgerüstet wurde, nicht in Wirklichkeit eine Attrappe ist. Solche Authentifizierungen lassen sich mittels Messung von Gammaspektren sowie von Neutronen an den zerlegten Komponenten durchführen. Eine Herausforderung besteht allerdings darin, die nuklearen Sprengköpfe zu authentifizieren und zu zerlegen, ohne dass proliferationsrelevantes Wissen verraten oder weitergegeben wird. Dabei nutzen die Abrüstungskontrolleure kryptographische Verfahren sowie die „Zero-Knowledge“-Verifikation5, bei denen eine Partei die andere stichhaltig und nachvollziehbar von der Tatsache überzeugen kann, dass eine Kernwaffe authentisch ist, ohne dabei jegliche Informationen über die Waffe oder deren Design zu offenbaren.
Mit diesen und weiteren Maßnahmen und Aktivitäten hoffen die Physikerinnen und Physiker, die Büchse der Pandora, die sie einst mit geöffnet haben, wieder verschließen zu können und die Gefahr eines Nuklearkrieges auf ein Minimum zu reduzieren.
Fußnoten
1. Geschätzt wird das Gesamtarsenal auf ca. 13.100 Sprengköpfe im Besitz von Russland (6.257), den USA (5.550), China (350), Frankreich (290), dem Vereinigten Königreich (225), Pakistan (165), Indien (160), Israel (90) und Nordkorea (45). Ca. 3.700 Sprengköpfe gelten als stationiert, die restlichen zählen zur Reserve. https://fas.org/issues/nuclear-weapons/status-world-nuclear-forces/
2. Toon, O. B.; R. P. Turco; et al. (2007). Atmospheric effects and societal consequences of regional scale nuclear conflicts and acts of individual nuclear terrorism. Atmos. Chem. Phys. Discuss, 7, S. 1973 - 2002.
3. Kütt, M.; Mian, Z.; P. Podvig. (2019) Global stocks and production of fissile materials. Sipri Yearbook 2020, S. 386ff.
4. https://www.dpg-physik.de/vereinigungen/ fachuebergreifend/ag/aga
5. Glaser, A.; Barak, B.; Goldston, R. A. (2014) Zero-knowledge protocol for nuclear warhead verification. Nature 510, 497 - 502.
Quellen und weitere Informationen
- DPG-Arbeitsgruppe Physik und Abrüstung
- The Physicists Coalition for Nuclear Threat Reduction, sponsored by APS
- Deep Cuts Commission
- Federation of American Scientists
- Union of Concerned Scientists
- Pugwash Conferences on Science and World Affairs
- Nuclear Darkness
- Bulletin of the Atomic Scientists
- International Partnership for Disarmament Verification
- Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH)
- Initiative Atomkrieg aus Versehen
- Forschungsverbund Naturwissenschaft und Abrüstung
Öffentliche Erklärungen von Physikerinnen und Physikern
- 1945 Franck Report
- 1945 Szilard Petition
- Russell-Einstein Manifest
- 1957 Göttinger Erklärung
- 1958 Petition durch Linus Pauling to end nuclear testing
- Hans Bethe Erklärung 1995
Die Deutsche Physikalische Gesellschaft dankt Götz Neuneck vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg für die wissenschaftliche Beratung.