Gemeinsame Stellungnahme zur Stundentafeländerung für die Oberstufe des achtjährigen Gymnasiums im Freistaat Bayern

Gemeinsame Stellungnahme der Deutschen Physikalischen Gesellschaft e.V. (DPG), der Gesellschaft Deutscher Chemiker e.V. (GDCh), der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte e.V. (GDNÄ) und des Verbunds biowissenschaftlicher und biomedizinischer Gesellschaften e.V. (vbbm)

Das Kabinett der Bayerischen Staatsregierung hat am 25. April 2006 eine Stundentafel für die Oberstufe beschlossen, nach der die Schülerinnen und Schüler an bayerischen G8-Gymnasien nur noch eines der drei naturwissenschaftlichen Fächer verpflichtend belegen müssen.

Die unterzeichnenden wissenschaftlichen Fachgesellschaften begrüßen die Einführung des achtjährigen Gymnasiums in Bayern als einen richtigen Schritt zur Senkung der Bildungszeiten. Umso mehr haben sie den Beschluss zur Stundentafel in der Oberstufe mit Bestürzung zur Kenntnis genommen und warnen vor einer gravierenden Fehlentwicklung an bayerischen Gymnasien.

Bildung, Forschung, Naturwissenschaft und Technik gehören zu den Schlüsselfaktoren für ein erfolgreiches Bestehen im Wettbewerb der Hochtechnologieländer. Daher gilt es, die vorhandenen Stärken unseres Standortes nicht nur zu sichern, sondern entschieden auszubauen, damit Deutschland auch künftig seine technologische Position im Spitzenfeld der Industrienationen behaupten kann. Für die für Deutschland besonders bedeutende naturwissenschaftliche Forschung ist ein leistungsfähiges und effizientes Bildungssystem von essentiellem
Interesse.

Unabhängig davon sind die Naturwissenschaften von grundsätzlicher Bedeutung für unser modernes, zunehmend von wissenschaftlicher Erkenntnis und technologischen Innovationen geprägtes Leben. Eine entsprechende naturwissenschaftliche Grundkompetenz ist daher für alle Bürger, auch für diejenigen, die nicht in entsprechenden Berufen tätig sind, notwendig, um kompetent am gesellschaftlichen Diskurs über diese Probleme teilnehmen zu können.
Unter den Bildungsgängen der schulischen Allgemeinbildung ist der Bildungsweg in der Sekundarstufe II an den Gymnasien und gleichwertigen Schulformen von besonderer Bedeutung, stellt er doch den wichtigsten Zugang zum tertiären Bildungssektor dar. Die auf natur und ingenieurwissenschaftliche Fächer zielende Studierfähigkeit der Abiturienten wird neben einer guten Ausbildung in Mathematik im Wesentlichen durch Beiträge der  Unterrichtsfächer Biologie, Chemie und Physik erreicht. DPG, GDCh, GDNÄ und vbbm messen daher der naturwissenschaftlichen Ausbildung in diesen Fächern in der Oberstufe eine besondere Bedeutung bei.

Wichtigstes Ziel einer schlüssigen Weiterentwicklung der gymnasialen Oberstufe sowie des Abiturs muss die Steigerung der Qualität und Leistungsfähigkeit dieses Bildungsganges sein. Mit dem Erwerb des Abiturs muss sichergestellt werden, dass die Studierfähigkeit im Sinne einer allgemeinen Hochschulreife vorliegt. Für diejenigen Abiturientinnen und Abiturienten, die kein naturwissenschaftliches Studium anstreben, bildet die schulische   Ausbildung die naturwissenschaftliche Grundkompetenz für andere Studienfächer. Für diejenigen, die nicht
studieren, muss das Abitur die Voraussetzungen für einen erfolgreichen Einstieg in einen berufspraxisorientierten
Ausbildungsgang bieten.

Mit Blick auf den Bildungs- und Erziehungsauftrag des Oberstufenunterrichts sind nach Auffassung der unterzeichnenden wissenschaftlichen Fachgesellschaften folgende Zielsetzungen von zentraler Bedeutung:

  • Fundierte und breite Allgemeinbildung auf Basis eines verbindlichen Kanons von Kernfächern – ergänzt durch fachübergreifenden und fächerverbindenden Unterricht
  • Vertiefte Fachkenntnisse in Wahlpflichtfächern sowie weiteren Fächern aus einem ergänzenden
    Angebot – entsprechend den Neigungen und Interessen der Schülerinnen und Schüler
  • Zum Kanon der obligatorischen Unterrichtsfächer für alle Schülerinnen und Schüler
    der Sekundarstufe sollten gehören:
    Deutsch, Mathematik, Englisch, zwei naturwissenschaftliche Fächer, Geschichte
  • Aus dem naturwissenschaftlichen Bereich sind zwei der drei Fächer Biologie, Chemie und Physik verpflichtend. Die Fächer sind mindestens zweistündig in allen vier Halbjahren
    zu unterrichten.
  • Den naturwissenschaftlichen Fächern ist die Abiturfähigkeit anzuerkennen. Ein naturwissenschaftliches
    Fach muss vollwertiges Prüfungsfach im Abitur sein.

Die Deutsche Physikalische Gesellschaft, die Gesellschaft Deutscher Chemiker, die Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte und der Verbund biowissenschaftlicher und biomedizinischer Gesellschaften wenden sich an die bayerische Staatsregierung und die Mitglieder des bayerischen Landtages mit dem dringenden Appell, die Stundentafel für die gymnasiale Oberstufe nochmals zu überarbeiten und den Naturwissenschaften einen ihrer Bedeutung entsprechenden Platz in der Stundentafel einzuräumen. Die Naturwissenschaften
müssen gleichrangig neben Deutsch, Mathematik und einer Fremdsprache stehen.

Unterzeichner
Prof. Dr. Eberhard Umbach, Präsident der DPG
Prof. Dr. Dieter Jahn, Präsident der GDCh
Prof. Dr. Konrad Sandhoff, Präsident der GDNÄ
Prof. Dr. Rudi Balling, Präsident des vbbm