Dörthe M. Eisele
"Innovative Spitzenforschung kann nur in einer Umgebung realisiert werden, in welcher Vielfalt, Inklusion und Kooperation fortwährend gefördert und kultiviert werden."
Dörthe Eisele, aufgewachsen in Ost-Berlin, promovierte 2009 an der Humboldt-Universität zu Berlin in Experimentalphysik und wurde mit einem Feodor Lynen-Forschungsstipendium der Alexander-von-Humboldt-Stiftung ausgezeichnet. Sie war von 2010 bis 2014 als Postdoctoral Associate am Massachusetts Institute of Technology (MIT) und dort Teil der U.S.-weiten Grundlagenforschungsinitiative Energy Frontier Research Centers (EFRCs). 2014 erhielt sie eine Professur an der The City University of New York (CUNY) in New York City. Inspiriert von der Natur verbindet sie innovative Materialforschung mit physikalischer Grundlagenforschung mit dem Ziel, Wechselwirkung von Licht mit neuartigen, nanostrukturierten Materialien zu verstehen. Mit ihrem jungen Forschungsteam erhielt sie für ihre international anerkannte Forschung bereits zahlreiche renommierten Preise, u.a. 2015 einen Förderpreis der National Science Foundation (NSF) für Großforschungsgeräte, 2017 einen Forschungspreis vom Office of Basic Energy Sciences des U.S. Energieministeriums und 2018 den Forschungspreis der NSF für herausragende Nachwuchsforscher (NSF CAREER), welcher laut NSF die höchste Auszeichnung für U.S. Nachwuchsgruppen darstellt. Über ihre Forschungsaktivitäten hinaus ist es ihr sehr wichtig, Minderheiten in den Naturwissenschaften nachhaltig zu fördern und Grundlagenforschung einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen (Eisele Research Group).
Wenn ich nicht Physikerin geworden wäre ...
Das Motto meiner Forschungsgruppe ist: „Follow Your Interests and Enjoy the Ride!”. Unsere Kreativität und Begeisterung ist der Motor für unsere wissenschaftliche Arbeit und lässt uns selbst schwierigste Herausforderungen meistern. Das Lösen von Forschungsfragen hoher Komplexität macht uns großen Spaß. Aber im Kern geht es immer um Menschen. Das war so und das wird auch immer so bleiben. Als Mitglied des Professorenkollegiums und Leiterin einer Forschungsgruppe habe ich das Privileg, mir aussuchen zu können, mit wem ich zusammenarbeiten möchte. Junge Menschen, hochmotiviert und hungrig nach Wissen, die mit Energie und Hingabe ihre ganz eigenen Karrierewege finden, geben mir alle Hände voll zu tun. Das liebe ich! Der Gesellschaft etwas zurückgeben zu können, in dem man internationale Grundlagenforschung vorantreibt und junge Menschen auf ihren ersten Karriereschritten begleitet und unterstützt. Für mich gibt es nichts Schöneres. Ich kann mir nicht vorstellen, irgendetwas anderes zu machen.
Welchen Bezug haben Sie zur DPG?
Als ehemaliges Gründungsmitglied des Vorstandes des DPG-Arbeitskreises Chancengleichheit (AKC) habe ich hautnah miterlebt, wie die DPG Deutschland bei seinen gegenwärtigen Bestrebungen tatkräftig unterstützt, Diversität und Inklusion in die Deutsche Forschungslandschaft nachhaltig zu integrieren.
Welches Angebot der DPG schätzen Sie am meisten?
Um nur ein Beispiel von so vielen zu nennen: Seit nunmehr über einem Jahrzehnt fördert die DPG diejenige Jahrestagung in Deutschland, welche gezielt unterrepräsentierte Minderheiten in der Physik stärkt. Seit den neunziger Jahren gab es regelmäßige Treffen von Physikerinnen in Deutschland. Im Jahre 1997 hatte ich die Idee, diese erfolgreichen Treffen auf eine breitere Basis zu stellen. Zusammen mit meinem Team von hartnäckig zielstrebigen Mitstreiterinnen, gegen alle damaligen, zum Teil absurden, Widerstände, organisierten wir Deutschlands allererste wissenschaftliche Tagung speziell für Physikerinnen in Wissenschaft und Forschung: Die Deutsche Physikerinnentagung (DPT) hatte das Motto „Kiss the Future!“. Ohne die tatkräftige Unterstützung der DPG wäre uns das damals nicht möglich gewesen. Bereits ein Jahr später, auf der zweiten Deutschen Physikerinnentagung in 1998, wurde der DPG-Arbeitskreis Chancengleichheit (AKC) offiziel ins Leben gerufen. Mit all ihrer Arbeit leistet die DPG einen substantiellen Beitrag zur positiven Änderung des gesellschaftlichen Klimas in Deutschland, insbesondere für die vielen, immer noch unterrepräsentierten Minderheiten im Bereich Wissenschaft und Forschung in den Natur- und Ingenieurwissenschaften.
Welche Aufgaben hat eine europäisch gedachte Physik?
Forschungsprogramme, die beabsichtigen, weit über den Tellerrand hinauszuschauen, erfordern einen lebhaften Austausch von Wissen, Ideen und Ressourcen; nicht nur auf nationalem sondern vor allem auf internationalem Niveau. Übergreifende Förderinstrumente, wie sie kürzlich durch die EU eingeführt wurden, sind der Schlüssel für den zukünftigen, globalen als auch internationalen, Fortschritt sowohl in der Grundlagen- als auch in der angewandten Forschung.
Woran arbeiten Sie heute?
Das Verständnis, wie Licht und Materie miteinder wechselwirken, hat unser tägliches Leben grundlegend verändert. Zum Beispiel führten Albert Einsteins Arbeiten zum photoelektrischen Effekt, für dessen Erklärung er 1921 den Nobelpreis für Physik erhielt, zur Revolutionierung unseres fundamentalen Verständnisses von Materialeigenschaften, welches die Grundlage für viele unserer jetzt verfügbaren Technologien darstellt. Heute im 21. Jahrhundert befasst sich Grundlagenforschung damit, die Wechselwirkung von Licht und Materie im Nanometermassstab zu verstehen: Wie Licht mit Nanostrukturen wechselwirkt, ist von grundlegender Bedeutung für die Entwicklung von neuen Technologien in der Gewinnung von Solarenergie (z.B. Photovoltaik) oder in der Informationstechnologie (z.B. molekulare Elektronik) bis hin zur Nanomedizin (z.B. Enwicklung neuer Medikamente) und darüber hinaus.
In meinen Laboren arbeiten Chemiker und Physiker eng zusammen: Diese interdisziplinäre Arbeitsweise innerhalb einer Forschungsgruppe ermöglicht einen innovativ-kreativen Informations- und Wissensaustausch, der es uns erlaubt, ganz neuartige Lösungswege zu finden. Mit unserer Forschung tragen wir zum grundlegenden Verständnis der Wechselwirkung von Licht und Materie sowohl in Raum (auf einer nanoskopischen Längenskala) als auch in Zeit (auf einer ultraschnellen Zeitskala) bei. Meine solide Physikausbildung ermöglicht mir, komplexe Fragestellungen zum gundlegenden Verständnis von Licht-Materie-Wechselwirkungen auf elektronischer, atomarer und molekularer Längenkala anzugehen. Von besonderem Interesse sind hierbei die hochkomplexen Elektronen- und Energie-Transportprozesse in von der Natur inspirierten, sich selbstordnenden Nanostrukturen.
Was möchten Sie dem wissenschaftlichen Nachwuchs mitgeben?
Akzeptiere keine Grenzen, gehe neue Wege, gehe ungewöhnliche Wege, finde heraus, was Dich im Innersten bewegt und verfolge es mit Leidenschaft und Freude. Was auch immer passiert, versuche nicht, andere zu kopieren, bleib authentisch und bleib Du selbst. Es ist gut, anders zu sein, einmalig zu sein, also liebe und lebe Deine Einzigartigkeit.
Physik ist wie ....
Physik ist wie Kunst: höchst kreativ, komplex und wirkungsvoll.“
Was noch ...
Nur durch das Überschreiten von Grenzen, welche z.B. zwischen den traditionellen Forschungsfeldern immer noch existieren, werden wir Durchbrüche sowohl in der Grundlagen- als auch der angewandten Forschung erzielen. Wir benötigen mehr Programme, die genau diese interdisziplinären Forschungsansätze stärken.
Bild: CCNY-CUNY