Diskussionspapier des Fachverbands Umweltphysik der Deutschen Physikalischen Gesellschaft für das Gespräch mit dem Referat 422 des BMBF (MinR Dr. N. Binder) am 7. 1. 2000
22. 12. 1999
1. Vorbemerkung
Als Gesprächsgrundlage werden im vorliegenden Papier die Anliegen des Fachverbands Umweltphysik (FV UP) spezifiziert, die in seinem Memorandum vom 2. 7. 1999 nur sehr verkürzt vorgetragen werden konnten. Bezüglich der gesellschaftspolitischen Relevanz der Umweltphysik wird aber auf das Memorandum verwiesen. Mit der Gründung des FV UP 1998 hat die Deutsche Physikalische Gesellschaft (DPG) erstmalig ein umfassendes Forum für alle Physiker geschaffen, die im Bereich der physikalischen Umweltforschung in Deutschland tätig sind. Die Gegenstände der Umweltphysik (UP) können umschrieben werden als "Anwendung physikalischer Methodik auf die Umweltsysteme Atmosphäre, terrestrische Systeme und Ozean" (eine weitergehende Charakterisierung findet sich in Anhang 1). Der FV UP sieht seine Aufgabe darin, die in diesen Themenkreisen tätigen Gruppen und Institutionen zusammenzuführen, um damit ihre wissenschaftliche Schlagkraft zu erhöhen und Synergieeffekte zu erzeugen. Eine weitere Aufgabe ist es, die Außenwirkung und Außenvertretung der Gruppe zu verbessern. Zur inhaltlichen Vernetzung tragen u.a. regelmäßige Tagungen im Rahmen der DPG-Frühjahrstagungen bei. Träger physikalischer Umweltforschung sind vorwiegend Großforschungseinrichtungen und Universitäten aber auch einige Ressort-gebundene Forschungseinrichtungen.
2. Ausgangslage der Umweltphysik in Deutschland
Die Gegenstände der UP sind charakterisiert durch komplexe Physik, vielerlei Wechselwirkungen zwischen Teilphänomenen und hohe interne Variabilität. Hier eindeutige Aussagen zu gewinnen, die alleine politisches Handeln begründen können, erfordert extensive und ausdauernde Forschung. Typisch für die Arbeitsweise der UP sind aufwendige Feldkampagnen und Modellbildung. Oft sind auch Langzeitbeobachtungen (Monitoring) oder Prozessstudien im Labor notwendig. Weitere Charakteristika sind interdisziplinärer Bezug und Einbindung in nationale und internationale Großprogramme, letzteres weitgehend deshalb, weil die Forschungsarbeiten häufig nur in Kooperation zu bewältigen sind. Die Kombination von komplexen Fragestellungen, interdisziplinärem Bezug und Einbindung in Großprogramme fordert den Arbeitsgruppen der UP große Anstrengungen ab. Das BMBF fördert die Arbeiten der UP im Rahmen mehrerer Förderungsprogramme, weitere Unterstützung erfolgt vor allem durch die DFG und die EU.
Verschiedene klassische Fachdisziplinen (Meteorologie, Physikalische Ozeanographie, Bodenkunde, Biophysik) bearbeiten Fragestellungen, die sich von denen der UP nur graduell unterscheiden. In der Praxis besteht eine fruchtbare Arbeitsteilung und Kooperation. Diese Zusammenarbeit stützt auch die für die UP typischen interdisziplinären Aspekte.
Die Kompetenz der physikalische Umweltforschung in Deutschland wurde in den letzten Jahren durch Neugründung von Instituten (z. B. Institut für Klimafolgenforschung Potsdam, MPI für Meteorologie, Hamburg) oder durch Umwidmung in bestehenden Einrichtungen (z. B. Kernforschungszentren) stark erweitert. Diese Institutionen sind in der Regel Themen-konzentriert. Im vorliegenden Papier werden übergreifende Aspekte vertreten, es wird auf Lücken verwiesen und speziell werden die Bedürfnisse universitärer Arbeitsgruppen hervorgehoben.
3. Entwicklungsperspektiven der Umweltphysik
Im folgenden werden einige für die zukünftige Entwicklung der UP wichtige Aspekte angesprochen.
Ausbau der Grundlagenforschung:
Während der letzten Dekaden war die Förderung der UP zum großen Teil gesteuert durch Reaktionen der Gesellschaft auf Umweltprobleme bzw. drohende Umweltkatastrophen. Ein Beispiel ist die Ozonforschung, deren Förderung über mehrere Jahre großzügig erfolgte, danach aber stark zurückgefahren wurde. Abgesehen davon, dass hier und in mehreren ähnlichen Fällen die jeweiligen Fragen noch nicht vollständig gelöst sind, ist sicher davon auszugehen, dass in Zukunft weitere Umweltprobleme auftreten werden.
Die Umweltforschung hat hinsichtlich ihrer Förderung von dem Druck der Gesellschaft sicherlich profitiert, und selbstverständlich sieht die UP in Beiträgen zur Lösung akuter Umweltprobleme eine höchst wichtige und motivierende Aufgabe. Dennoch kann eine "Katastrophen-getriebene" Forschung keine zufriedenstellende Basis für erfolgreiche Arbeit auf Dauer sein. Insbesondere verhindert sie ein hinreichend gründliches Studium der zugrundeliegenden Prozesse und vorausschauendes Arbeiten, was alleine eine solide Basis für rechtzeitiges politisches Handeln sein kann.
- Hieraus leiten wir auch für die UP die Notwendigkeit einer systematischen Förderung von Grundlagenforschung ab, ähnlich wie etwa in der Astronomie oder der Elementarteilchenphysik, aber zusätzlich motiviert durch den Vorsorgeaspekt derartiger Forschung für den Umgang mit zukünftigen Umweltproblemen.
Verbesserung der Vernetzung zwischen den Teilbereichen der UP und Verstärkung der Außenwirkung:
Es gibt im Bereich der UP umfangreiche Zusammenarbeit, jedoch erfolgt diese überwiegend Themen-nah, z. B. bei gemeinsamen Beobachtungsprogrammen und bei der Projektakquisition. Die Themen-übergreifende Vernetzung muss dagegen noch verbessert werden. Der FV UP versteht sich zwar hier als Multiplikator, jedoch sind seine Möglichkeiten (u.a. Tagungen) begrenzt. Eine verbesserte Vernetzung ist auch Voraussetzung für eine verstärkte Außenwirkung der UP. Bereits heute hat die Deutsche Physikalische Gesellschaft die von ihr gewünschte Außenwirkung im Bereich des FV UP im wesentlichen auf diesen übertragen. Mit Außenwirkung meinen wir nicht zuletzt wissenschaftspolitische Aktivitäten, wie Beratung von Regierungsgremien, Einflussnahme auf nationale oder europäische Forschungsplanung, Koordination von EU-Forschungsprojekten, oder, ganz aktuell, Aktivitäten zum "Jahr der Physik".
- Es sollten Wege gefunden werden, den FV UP und die ihn tragenden Gruppen und Institutionen in die Lage zu versetzen, sich weiter zu vernetzen und bezüglich Planung und Durchführung von physikalischer Umweltforschung und der Anwendung ihrer Ergebnisse eine aktive Außenwirkung zu betreiben.
Verbesserung der Infrastruktur, insbesondere an Universitäten:
Eine weitere Tatsache ist, dass die Umweltphysik, weil es sich bei ihr um ein relativ junges Gebiet handelt, im Vergleich mit anderen Gebieten der Physik nur begrenzt auf eine etablierte Ausstattung zurückgreifen kann. In Kombination mit dem Erfordernis einer extensiven Forschung bedeutet dies, dass die Umweltphysik unverhältnismäßig stark auf die Einwerbung von Drittmitteln angewiesen ist (sie ist hier auch erfolgreich).
Die Kombination von notwendigerweise aufwendiger Forschung und begrenzter Ausstattung stellt insbesondere die universitären Arbeitsgruppen vor große Probleme. Dies gilt in erster Linie personell (vgl. 3.4), jedoch ist auch ihre Sachmittelausstattung beschränkt. Dennoch sind viele universitäre Institute und Arbeitsgruppen in der UP aktiv und haben wichtige Beiträge geleistet, nicht zuletzt durch die Arbeit der Doktoranden und Diplomanden. Eine aktive Rolle der Universitäten ist auch deshalb unverzichtbar, da sie ganz weitgehend als Eingangstor für wissenschaftlichen Nachwuchs dienen (vgl. 3.4). Ferner sind alleine die Universitäten, und zwar durch ihre Lehre, in der Lage, die Umweltphysik als kohärentes Fach zu vertreten (entsprechende Curricula existieren an einigen Universitäten oder sind im Aufbau begriffen).
- Aus diesen Gründen sind Maßnahmen zur Unterstützung der Infrastruktur der UP an Universitäten angezeigt.
Nachwuchsförderung:
Eine gezielte Nachwuchsförderung ist für die UP deshalb notwendig, weil diese, auch in Anbetracht ihrer großen Themenbreite, personell vergleichsweise beschränkt ist, und weil ihre komplexe und aufwendige Forschung einen langen Atem erfordert. Personelle Kontinuität einer Kernmannschaft (neben Doktoranden und Diplomanden) ist deshalb absolut notwendig. Zur Abhilfe fehlen insbesondere an Universitäten Beschäftigungsmöglichkeiten über den Bereich der Postdoktoranden hinaus. In diesem Zusammenhang ist außerdem die 5-Jahres Grenze nach dem BAT sehr hinderlich. Letztere betrifft die UP deshalb in besonderem Maße, weil die Nachwuchswissenschaftler wenig Möglichkeiten haben (im Vergleich etwa zur Festkörperphysik), an andere Institutionen zu wechseln ohne ihr näheres Arbeitsgebiet zu verlassen. Nachwuchsförderung erscheint auch deshalb notwendig, weil bei Stellenbesetzungen im Bereich der physikalischen Umweltforschung die Bewerberlage in der Regel eng ist.
- Aus diesen Gründen ist ein Nachwuchsförderungsprogramm für die UP besonders wichtig. Eine solche Förderung ist zwar für die atmosphärische Forschung im AFO 2000 vorgesehen, doch müsste eine ähnliche Förderung auch für die anderen Bereiche der UP geschaffen werden.
Datennutzung Erdfernerkundungssatelliten:
Die Umsetzung der Daten der Satelliten-getragenen Erdfernerkundung in relevante Umweltparameter und deren wissenschaftliche Nutzung ist unzureichend. Sie bestimmt aber letztlich die Kosten-Nutzen-Relation, wobei sie nie den Kostenrahmen erreichen wird, in welchem die technische Seite dieser Daten, nämlich Konzeption, Bau und Algorithmenentwicklung für die Satelliteninstrumente, aktuell gefördert wird. Sie war zudem bisher überwiegend den mit diesen technischen Aspekten befassten Gruppen vorbehalten. Es sollten aber auch Wissenschaftler mit anderen Erfahrungsbereichen einbezogen werden, was bisher nicht erkannte Nutzungsmöglichkeiten eröffnen könnte. Eine Erweiterung von Auswertung und Nutzung ist insofern dringend, als in Bälde neuartige Satellitendaten (etwa durch MIPAS und SCIAMACHY) zu erwarten sind. Ein spezieller beanstandeter Punkt ist die Tatsache, dass im Rahmen der ESA Förderung für wissenschaftliche Datenauswertung nur im Bereich Extraterrestrik vorgesehen ist.
Langzeitmessungen:
Die UP muss in vielen Zusammenhängen Langzeitmessungen zur Verfügung haben. Diese sind so kostenträchtig, dass sie den einschlägigen Institutionen (z. B. Deutscher Wetterdienst) überlassen bleiben müssen, die in der Tat viele solche Messungen bereitstellen. Problematisch ist es aber, Wünsche bezüglich neuer Parameter durchzusetzen, oder selbst für Routineparameter neue, verbesserte Messverfahren einzuführen; auch die Datenverfügbarkeit ist in der Praxis nicht immer problemlos. Wenn dies auch teilweise in der Natur der Sache liegt (wir unterstellen nicht einen Mangel an gutem Willen) wäre eine Verbesserung in diesen Punkten sehr hilfreich.
- Die wissenschaftliche Nutzung von Satellitendaten im Bereich der Erdfernerkundung sollte ausgebaut werden. Die ESA sollte veranlasst werden, solche Nutzung auch im Bereich der Erdfernerkundung zu fördern.
- Die Zusammenarbeit zwischen den Langzeitmessungen ausführenden Institutionen und den Datennutzern sollte verbessert werden.
Gewünschte konkrete Maßnahmen:
Aus den oben allgemein abgehandelten Fragen leiten wir eine Reihe von Investitions- und Infrastrukturmaßnahmen ab, die in den Anhängen zu diesem Papier in genereller Form beschrieben sind; Einzelheiten sind noch auszuarbeiten. Es handelt sich um:
- die Schaffung von Zentren für bestimmte messtechnische, Beobachtungs- und Modellierungsaufgaben (Anhang 2);
- die Aufstellung eines Förderprogramms Umweltphysik zur Bearbeitung spezifischer Themen-übergreifender Fragestellungen und zur Nachwuchsförderung (Anhang 3); sowie
- die Finanzierung UP-spezifischer Investitionen (Anhang 4).
Wir sprechen die Hoffnung aus, dass das BMBF unsere Anliegen direkt oder indirekt unterstützen kann.
Im Namen des Fachverbands Umweltphysik
N.B. Dieses Papier wurde erstellt unter Mitwirkung der Kollegen H. Ahlgrimm, Braunschweig, J. Burrows, Bremen, H. Fischer, Karsruhe, K. Fraedrich, Hamburg, K. Künzi, Bremen, K. Roth, Heidelberg, E. Rühl, Osnabrück und U. Schumann, Wessling.
Anhang 1: Definition und Forschungsthemen der Umweltphysik
Anhang 2: Ausbau der Infrastruktur der Umweltphysik
Anhang 3: Förderprogramm Umweltphysik
Anhang 4: Investitionswünsche der Umweltphysik
Anhang 1 zum Diskussionspapier des FV Umweltphysik vom 22. 12. 1999
Definition und Forschungsthemen der Umweltphysik
Begriffsdefinition der Umweltphysik nach heutigem Stand:
- Kurzfassung: "Umweltphysik beschäftigt sich mit der Erforschung des Systems Erde mit physikalischen Methoden."
- Erweiterte Fassung: "Die Umweltphysik ist ein Teilgebiet der Physik, sie beschäftigt sich mit Fragestellungen im Zusammenhang mit dem Fluss von Energie und Materie in der Umwelt des Menschen, d.h. innerhalb der klassischen Umweltsysteme Wasser, Boden, Luft und Ökosysteme sowie zwischen diesen Systemen (Transferprozesse an der Grenzen). Das Wort Physik weist auf die spezielle Methode hin, also auf den Blickwinkel unter dem die Probleme betrachtet werden. Ein methodischer Aspekt der Umweltphysik ist auch die Modellbildung, die dem Systemcharakter der Umwelt Rechnung trägt."
Forschungsthemen:
Durch die Einführung leistungsfähiger Rechner, die Entwicklung numerischer mathematischer Methoden sowie durch die Weiterentwicklung der Messtechnik (z. B. der Fernerkundung), ist eine detaillierte Beschreibung der obengenannten Umwelt-Teilsysteme und ihrer Wechselwirkungen möglich geworden. Die Erforschung komplexer Systeme ist eine Herausforderung für viele Bereiche der Naturwissenschaften der kommenden Jahrzehnte und auch ein wesentlicher Bestandteil der modernen Umweltphysik (UP).
Die physikalische Umweltforschung untersucht komplexe Aspekte der Biogeosphäre und des Systems Erde. Dadurch beschäftigt sie sich zwangsläufig mit Raum- und Zeitskalen, welche mehrere Größenordnungen umfassen. Im Labor und bei Feldversuchen müssen relevante physikalische, chemische und biologische Wechselwirkungen, die von Femtosekunden bis zur Jahren dauern, untersucht werden. Für die Klimaforschung werden wichtige Erkenntnisse über Zeitskalen von Jahrzehnten bis zu Millionen von Jahren aus der Analyse von Bohrkernen (z.B. Eis und Sedimente) gewonnen. Nicht zuletzt werden auch globale Datensätze benötigt, um das System Atmosphäre-Erde-Ozean zu untersuchen.
Die UP setzt in großem Umfang moderne Messtechniken ein (z.B. Erdfernerkundung, Tracertechniken), um ihre theoretischen und modellhaften Vorstellungen über die Umweltsysteme zu verifizieren. Um diese Messtechniken weiterzuentwickeln, ist ein grundlegendes Verständnis vieler Bereiche der Physik (für die Fernerkundung z.B. der Atom- und Molekülspektroskopie) essentiell. Aktuelle Forschungsthemen beschäftigen sich oft mit dem Verständnis des Austausches an Grenzflächen (Phasengrenzen) und setzen eine multidisziplinäre Denkweise voraus. Insbesondere ist auch die Untersuchung der Bedeutung von Änderungen, welche durch menschliche Aktivitäten (Umweltverschmutzung, landwirtschaftliche Aktivitäten, Biomasseverbrennung) oder durch natürliche Phänomene (Vulkanausbrüche, Sonnenaktivität, Magnetfeldzyklen, Erdbahnvariationen) verursacht werden, Gegenstand der UP.
Anhang 2 zum Diskussionspapier des FV Umweltphysik vom 22. 12. 1999
Ausbau der Infrastruktur der Umweltphysik
Die Umweltphysik (UP) könnte erheblich gestärkt werden durch die Gründung thematischer Zentren, die bestimmte Werkzeuge für einen größeren Nutzerkreis bereitstellen. Hierzu sollte an bestehenden Einrichtungen mit guten Voraussetzungen über eine begrenzte Zeit eine personelle und infrastrukturelle Ergänzungsausstattung finanziert werden, mit längerfristiger Übernahme durch das jeweilige Bundesland. Diese Zentren würden Querschnittsaufgaben für die umweltphysikalische Forschung erfüllen, mit ihrer Einrichtung ist jedoch eine beträchtliche Anstrengung verbunden. Im Prinzip könnte man auch an "virtuelle Zentren" im Sinne von Netzwerken entsprechender Forschungseinrichtungen denken; allerdings wären damit Nachteile im Hinblick auf die gewünschte enge Bündelung der Kräfte und die Sichtbarkeit der Schwerpunktsetzung verbunden. Durch derartige Zentren sollten u.a. Lücken in folgenden Bereichen geschlossen werden:
- Modellierung und Simulation physikalischer Prozesse in der Umwelt
Neben globalen Modellen, die infolge ihres Umfangs nur in wenigen Zentren wie dem DKRZ, Hamburg, sinnvoll betrieben werden können, gibt es eine Fülle von Modellen meist geringer Komplexität, die an verschiedenen Stellen entwickelt und eingesetzt werden. Diese sind oft hoch spezialisiert, haben eine kurze Lebensdauer und sind kaum allgemein verfügbar. Ein Defizit herrscht insbesondere bei Modellen für physikalische Prozesse mittlerer Komplexität (wie etwa Atmosphärenchemie einschließlich der Photochemie, Wechselwirkung Boden-Vegetation-Atmosphäre, Transportprozesse in Boden und Grundwasser), die gut dokumentiert und für potentielle Nutzer frei zugänglich sind.
- Sensoren, Messmethoden und Prozessstudien
Die Umweltphysik benötigt ein breites Spektrum von Sensoren und Messmethoden, um die Vielfalt der Prozesse auf allen relevanten Skalen zu untersuchen. Während Atmosphäre und Erdoberfläche auf sehr grossen Skalen bereits durch Erdbeobachtungssatelliten zugänglich sind, herrscht ein Defizit bei mittleren und kleinen Skalen, auf denen die physikalischen Prozesse aktuell operieren, sowie generell für die terrestrische Systemen und den Ozean, die für elektromagnetische Strahlung nicht transparenten sind. Beispiele für Methoden die hier aushelfen können sind hochauflösende geophysikalische Tomographie, Radar, Mikroseismik und Massenspektrometrie.
- Nationales wissenschaftliches Erdbeobachtungsprogramm
Dieses Programm sollte eine langfristige Forschungsstrategie verfolgen und dabei landgestützte Messsysteme mit Schiff-, Flugzeug- und Satelliten-getragenen kombinieren.
Anhang 3 zum Diskussionspapier des FV Umweltphysik vom 22. 12. 1999
Förderprogramm Umweltphysik
Existierende Förderprogramme überdecken zwar durchaus Teilbereiche der Umweltphysik, sind aber überwiegend Problem-orientiert oder orientieren sich an den Themen der klassischen Fachdisziplinen wie etwa der Physikalischen Ozeanographie (WOCE), der Atmosphärenforschung (OFP, AFS, TFS, AFO-2000). oder der Klimaforschung (CLIVAR). Was bisher weitgehend fehlt ist die systematische Förderung von Untersuchungen, die sich auf physikalische Prozesse an Schnittstellen der o.g. Teilsysteme des Systems Erde (also Atmosphäre, Hydro- und Kryosphäre sowie Boden- und Aspekte der Biosphäre) beziehen. Weitere Gesichtspunkte sind Energie- und Stoffströme in der Umwelt, sowie die physikalische Grundlagen der Klimaforschung.
Zur Schließung dieser Lücke sollte ein Förderprogramm "Umweltphysik" eingerichtet werden. Diese Forderung bezieht sich sowohl auf die im Diskussionspapier genannten Notwendigkeit von Grundlagenforschung auf diesem Gebiet, wie auch auf die einer weiteren Konsolidierung der auf den ersten Blick weitgefächerten Forschungsthemen der Umweltphysik. Ein derartiges Programm lässt beträchtliche Synergieeffekte erwarten. Es könnte darüberhinaus auch die unter Punkt 3.4 des Diskussionspapiers geforderte Nachwuchsförderung beinhalten.
Ein Förderprogramm Umweltphysik sollte gekennzeichnet sein durch einen interdisziplinären Charakter im Sinne von Arbeiten die sich auf die Schnittstellen der o.g. Kompartimente beziehen, sowie durch die Untersuchung der physikalischen (bzw. physiko-chemischen) Grundlagen der relevanten Prozesse. Forschungsgebiete in diesem Sinne wären demnach insbesondere die folgenden, wobei Prioritäten noch festzulegen wären:
- Untersuchung von Prozessen an allen Phasengrenzen zwischen Atmosphäre, Ozean, Boden und Biosphäre
- Wissenschaftliche Auswertung der Daten von Erdfernerkundungssatelliten (vgl. Punkt 3.5 des Diskussionspapiers)
- Molekül- und Aerosolphysik, Strahlungstransport und chemische Prozesse in der Atmosphäre, einschließlich Laborstudien hierzu
- Physikalische Grundlagen von klimarelevanten Prozessen
- Fragen der Skalierung von Prozessen (im Boden, in der Atmosphäre etc.)
- Tracertechniken
Anhang 4 zum Diskussionspapier des FV Umweltphysik vom 22. 12. 1999
Investitionswünsche der Umweltphysik
Es lassen sich eine Reihe von Investitionen nennen, die die Schlagkraft der Umweltphysik (UP) deutlich verstärken würden. Hier wird nur eine generelle Systematik angegeben, während Details der weiteren Diskussion vorbehalten bleiben. Diese Investitionen sollen einem ausgedehnten Nutzerkreis zugute kommen, wobei sie in der Regel das Vermögen einer einzelnen auch Gruppe überfordert würden. Die Investitionen stehen somit im Bezug zu den im Anhang 2 charakterisierten Zentren, die weitgehend Betrieb und die Betreuung übernehmen sollten. Die Investitionen lassen sich einteilen in:
- Großgeräte, z. B. Umweltsimulatoren, massenspektrometrische Messsysteme
Es handelt sich um Gerät, das entweder zur Untersuchung von Umwelt-relevanten Prozessen im Labor einzusetzen ist, oder um besonders aufwendige Messungen im Feld durchführen zu können
- Forschungsplattformen, insbes. Forschungsflugzeug
Die europäische Umweltphysik und Klimaforschung ist auf dem Gebiet der Forschungsflugzeuge im Vergleich zu anderen Nationen (insbesondere USA) deutlich weniger gut ausgestattet (Reichweite, Zuladung an Instrumenten und Gipfelhöhe der vorhandenen Flugzeuge sind unzureichend), wogegen an zahlreichen Stellen Ansätze für Forschungsflugbetrieb bestehen. Es sollte freier Zugang und kostenlose Nutzung gewährt werden (wie z. B. bei den Forschungsschiffen).
- Messnetze für definierte Zwecke
Es besteht Bedarf nach Messnetzen, die zur Validierung bestimmter, gut definierter Aspekte von Modellen der Physik und Chemie der Umwelt geeignet sind.