Pressemitteilung
der Deutschen Physikalischen Gesellschaft
Physikalische Spitzenleistung
Deutsche Physikalische Gesellschaft benennt die Preisträger 2002
Seit 1929 verleiht die Deutsche Physikalische Gesellschaft (DPG) die Max-Planck-Medaille für besondere Leistungen in theoretischer Physik; Preisträger der ersten Stunde waren der Namensgeber und Albert Einstein. Mit weiteren Auszeichnungen würdigt die DPG unter anderem herausragende Verdienste in experimenteller Physik und die Arbeit von Nachwuchsforschern. Die Preisträger des Jahres 2002 stehen jetzt fest - mit dabei sind zehn Schüler aus Ost- und Süddeutschland. Ein Novum ist die Verleihung des Hertha-Sponer-Preises für Nachwuchswissenschaftlerinnen, auch der Georg-Simon-Ohm-Preis für Fachhochschulstudierende wird erstmals vergeben. Die meisten Preisträger befassen sich mit der Physik der kondensierten Materie: der Erforschung der festen und "weniger" festen Stoffe (dazu zählen zum Beispiel Flüssigkeiten). Der Max-Born-Preis wird in Großbritannien überreicht, die übrigen Auszeichnungen auf den Frühjahrstagungen der DPG in Leipzig und Regensburg im März 2002.
Albert Einstein verließ Deutschland noch vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten, die Österreicherin Lise Meitner flüchtete 1938 nach Holland, der Niederländer und DPG-Vorsitzende Peter Debye emigrierte 1940 in die USA. Die Situation der Physik während der NS-Zeit prägten zum einen Flucht und Vertreibung und zum anderen die Konfrontation zwischen den Anhängern der so genannten "Deutschen Physik", die sich an die klassische Physik des 19. Jahrhunderts anlehnte, und den Verfechtern der modernen Physik - namentlich Quantenmechanik und Relativitätstheorie. Obwohl vieler prominenter Köpfe beraubt, kam der wissenschaftliche Betrieb keineswegs zum Erliegen. Elektronenoptik und Akustik zählten zu den Themen der Zeit, ganz zu schweigen von der Kernphysik und der Arbeit im Dienste der Kriegsmaschinerie.
Max-Planck-Medaille (theoretische Physik): Prof. Dr. Jürgen Ehlers (72), Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik, Golm/Potsdam
Stern-Gerlach-Medaille (experimentelle Physik): Prof. Dr. Jan Peter Toennies (71), Max-Planck-Institut für Strömungsforschung, Göttingen
Gustav-Hertz-Preis (Nachwuchspreis): Dr. Michael Bonitz (41), Universität Rostock
Hertha-Sponer-Preis (Nachwuchspreis): Dr. Karina Morgenstern (33), FU Berlin
Walter-Schottky-Preis (Physik der kondensierten Materie): Dr. Harald Reichert (38), Max-Planck-Institut für Metallforschung, Stuttgart
Georg-Simon-Ohm-Preis (Fachhochschulstudierende): Dipl.-Ing. (FH) Thomas Zentgraf (25), FH Jena/TU Clausthal
Robert-Wichard-Pohl-Preis (fachübergreifende Forschung und Physik-Vermittlung): Prof. Dr. Hanns Ruder (62), Universität Tübingen
Max-Born-Preis (herausragende Beiträge zur Physik, Auszeichnung der DPG und des britischen Institute of Physics): Prof. Dr. Siegfried Dietrich (47), Max-Planck-Institut für Metallforschung/Universität Stuttgart
Gentner-Kastler-Preis (herausragende Beiträge zur Physik, Auszeichnung der DPG und der Société Française de Physique): Prof. Dr. Jean-Marie Flaud (55), Université Paris-Sud
Schülerpreis: Deutsche Teilnehmerinnen und Teilnehmer der 32. Internationalen Physikolympiade und des 14. International Young Physicists' Tournament
Schwerkraft und Kosmologie: Prof. Dr.
Jürgen Ehlers (72) vom
Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik in Golm bei
Potsdam erhält die Max-Planck-Medaille
für seine herausragenden Beiträge zur Einstein'schen
Theorie der Schwerkraft.
Bei Erdbewohnern sorgt sie für Bodenhaftung, sie dirigiert unseren
Planeten um die Sonne, steuert die Bewegung im Schwarm eines
Galaxienhaufens und ist maßgebend für den Aufbau des
Universums: die Gravitation (Schwerkraft). Für das
Verständnis ihrer Eigenschaften auf kosmischer Skala schuf Albert
Einstein mit der Allgemeinen Relativitätstheorie die auch heute
noch gültige Grundlage. Ehlers hat diese Theorie weiterentwickelt
und verfeinert. Zum Schwerpunkt seiner Arbeit zählen
Gravitationslinsen: massereiche Himmelsobjekte wie etwa Galaxienhaufen,
deren Schwerefeld das Licht ablenkt. Wie viel Materie enthält das
Universum? Und wie ist die Materie großräumig verteilt? Die
Signaturen von Gravitationslinsen liefern Hinweise auf zentrale Fragen
der Kosmologie.
Ein weiteres Forschungsgebiet von Ehlers sind Gravitationswellen:
Verzerrungen des Raum-Zeit-Gefüges, die sich mit
Lichtgeschwindigkeit ausbreiten. Solche Wellen werden beispielsweise
erzeugt von Doppelsternen, deren Partner einander eng umkreisen. Ehlers
hat mit seinen Mitarbeitern untersucht, wie solche Wellen sich
ausbreiten und wie deren Ausstrahlung die Bewebung der Sterne
abbremst.
Ehlers studierte in Hamburg und promovierte bei Pascual Jordan, einem
der Begründer der Quantenmechanik. Nach mehrjähriger
Forschungstätigkeit in den USA kehrte er 1971 nach Deutschland
zurück, 1995 wurde er Direktor am Max-Planck-Institut für
Gravitationsphysik.
Oberflächen und Helium-Tropfen: Mit der
Stern-Gerlach-Medaille für experimentelle Physik
wird Prof. Dr. Jan Peter Toennies (71) vom
Max-Planck-Institut für Strömungsforschung
(Göttingen) ausgezeichnet. Mit diesem Preis würdigt
die DPG seine hervorragenden Beiträge zur Oberflächen- und
Clusterphysik.
Über Oberflächen treten Dinge mit ihrer Umwelt in Kontakt -
sei es der Klebestreifen, der auf Papier haftet, oder die
Autokarosserie, die an Luft rostet. Kurzum: In unserer Welt spielen
Oberflächen eine entscheidende Rolle. Mit den mikroskopischen
Vorgängen an festen und flüssigen Oberflächen befasst
sich Toennies seit vielen Jahren. Wegweisend sind seine Experimente mit
der so genannten Helium-Streuung. Dabei wird die zu untersuchende
Oberfläche von einem Strom aus Helium-Atomen abgetastet. In sein
Arbeitsgebiet fallen außerdem Cluster (kompakte Pulks
gleichartiger Atome), ein weiterer Schwerpunkt sind mikroskopische
Heliumtröpfchen. An diesen Winzlingen lassen sich
Quanteneigenschaften wie die Superfluidität (sie steht u. a.
für ungehindertes Fließen) studieren. Toennies wuchs in den
USA auf, er war mehrere Jahre Gastprofessor an der Universität
Göteborg und ist seit 1969 Direktor am Göttinger
Max-Planck-Institut für Strömungsforschung.
Quanten-Plasmen und Nano-Kristalle: Den
Gustav-Hertz-Preis für herausragende
Nachwuchswissenschaftlerinnen bzw. Nachwuchswissenschaftler erhält
Dr. habil. Michael Bonitz (41), theoretischer Physiker
an der Universität Rostock. Teilchenkollektive
fern vom Ruhezustand - angeregt durch ultrakurze Laserblitze -
zählen zu seinen Forschungsschwerpunkten. Bonitz interessiert sich
besonders für Elektronen und Ionen in dichten Plasmen (extrem
heißen Gasen) sowie Halbleitern. Seine wissenschaftlichen
Ergebnisse sind z. B. für den Einsatz von Lasern und für
Halbleiter-Chips von Bedeutung, ferner geben sie Einblick in den Aufbau
von Sternen und Riesenplaneten.
Besondere internationale Beachtung fanden seine jüngsten Arbeiten
über mikroskopische "Elektronen-Kristalle": Ähnlich
wie Atome in Festkörpern können auch Elektronen bei
Temperaturen nahe dem absoluten Nullpunkt (minus 273,15 Grad Celsius)
ein regelmäßiges Gitter bilden. Anhand von
Computer-Simulationen stellte Bonitz unter anderem fest, dass sich die
Eigenschaften des gesamten Kristalls durch Entnahme bzw. Zugabe eines
einzigen Elektrons steuern lassen. Dieses einzelne Teilchen
"schaltet" den Kristall zwischen zwei Zuständen -
vielleicht ein Ansatzpunkt für elektronische Bauelemente der
Zukunft.
Moleküle und Oberflächen: Mit dem
Hertha-Sponer-Preis für herausragende
Nachwuchswissenschaftlerinnen wird Dr. Karina
Morgenstern (33), tätig an der Freien
Universität Berlin, ausgezeichnet. Ihr Fachgebiet ist die
Oberflächenphysik. Im Jahr 2002 wird der Hertha-Sponer-Preis
erstmals verliehen.
Molekül für Molekül und Atom für Atom machen so
genannte Raster-Sonden-Mikroskope filigrane Details auf der
Oberfläche von Festkörpern sichtbar. Dabei tastet eine feine
Nadelspitze die Probe ab: ein Verfahren, das sogar offenbart, wie
einzelne Atome umherwandern und sich zu winzigen Inseln gruppieren.
Solchen und anderen "Nanostrukturen", ihrem Wachstum und
Zerfall, gilt Karina Morgensterns besonderes Interesse. Sie ist eine
ausgewiesene Expertin für die Dynamik von
Oberflächenprozessen. Ein weiterer Schwerpunkt ihrer Arbeit
betrifft das Verhalten von Molekülen auf Metallsubstraten.
Derartige Studien sind beispielsweise für das Verständnis der
Katalyse von Bedeutung. Die Physikerin und Diplom-Informatikerin
studierte in Deutschland sowie den USA. Nach ihrer Promotion arbeitete
sie in Dänemark und in der Schweiz, ehe sie 1999 an die FU Berlin
wechselte.
Ordnung und Unordnung: Mit dem
Walter-Schottky-Preis für fundamentale
Beiträge zur Physik der kondensierte Materie wird Dr.
Harald Reichert (38) ausgezeichnet. Reichert arbeitet
am Max-Planck-Institut für Metallforschung
(Stuttgart) und befasst sich unter anderem mit Prozessen an
der Grenzfläche zwischen Flüssigkeiten und
Festkörpern.
Im Jahr 2000 gelang ihm eine bedeutende Entdeckung über die
mikroskopische Struktur von Flüssigkeiten: Die Atome einer
Flüssigkeit sind ständig in Bewegung. Nur vorübergehend
ordnen sich kleine Gruppen zu fünfeckigen Gebilden, die nach
Sekundenbruchteilen wieder zerfallen. Diese flüchtige,
"fünfzählige" Symmetrie konnte Reichert bei
geschmolzenem Blei erstmals nachweisen. Reicherts Ergebnisse sind
grundlegend, um Schmelzen, Erstarren und das Phänomen der
Unterkühlung im Detail zu verstehen.
Licht und Leiter: Thomas Zentgraf
(25) studierte Physikalische Technik an der Fachhochschule
Jena. Für seine Abschlussarbeit, die er am Fraunhofer
Institut für Angewandte Optik und Feinmechanik durchführte,
erhält der Diplom-Ingenieur den
Georg-Simon-Ohm-Preis. Diese Auszeichnung wird
erstmals verliehen. Derzeit absolviert Zentgraf ein
Ergänzungsstudium in Physik an der Technischen
Universität Clausthal.
Quantenprozesse sind meist subtil und nur schwer zu vermessen. So auch
Bloch-Oszillationen - ein Effekt, der beispielsweise die Elektronen von
Metallen betrifft. Leichter handzuhaben sind dagegen
"photonische" Bloch-Oszillationen. Ein analoges Phänomen
aus der Optik, das Zentgraf in seiner Diplom-Arbeit unter die Lupe
nahm. Hierzu untersuchte er, inwieweit von Lichtleitern geführtes
Laser-Licht auf benachbarte Lichtleiter übergreift. Zentgraf
arbeitete nicht mit üblichen Lichtleitern aus Glas, sondern mit
Lichtleitern aus transparentem Kunststoff, deren optische Eigenschaften
er durch Heizen des Messaufbaus beeinflussen konnte. Sein Befund: In
manchen Lichtleitern wurde das Licht verstärkt, in anderen
abgeschwächt. Die Folge waren Schwankungen (Oszillationen) der
Lichtintensität zwischen nebeneinanderliegenden Lichtleitern.
Zentgrafs Experimente erlauben Rückschlüsse auf das
elektronische Pendant des Phänomens und sind auch für die
Optoelektronik von Interesse.
Astrophysik und Biomechanik: Der
Robert-Wichard-Pohl-Preis geht an Prof. Dr.
Hanns Ruder (62) von der Universität
Tübingen. Schwerpunkt seiner Arbeit ist die Untersuchung
komplexer Probleme - zum Beispiel der theoretischen Astrophysik -
mithilfe von Hochleistungscomputern. Zu seinem Interessengebiet
zählt auch die Mechanik des menschlichen Körpers: Was
passiert mit den Insassen bei einem Fahrzeug-Crash? Mit welchen
Sicherheitsvorkehrungen lässt sich ein Sturz vom Baugerüst
möglichst unbeschadet überstehen? Solchen und weiteren Fragen
der Biomechanik ist Ruder im Laufe der Jahre nachgegangen, häufig
auch in Kooperation mit Partnern aus der Industrie.
Ruder engagiert sich insbesondere für die Vermittlung
physikalischer Erkenntnisse. Die gewaltigen Datenmengen, die bei
Computer-Berechnungen anfallen, in anschauliche Bilder umzusetzen -
dies ist ihm ein besonderes Anliegen. Die Website www.tat.physik.uni-tuebingen.de/~weiskopf/gallery/index.html
bietet einige Kostproben, darunter ein Flug durch das Brandenburger Tor
mit nahezu Lichtgeschwindigkeit.
Fest und flüssig: Prof. Dr. Siegfried
Dietrich (47), theoretischer Physiker am
Max-Planck-Institut für Metallforschung und an
der Universität Stuttgart erhält den
Max-Born-Preis. Diese Auszeichnung verleiht die DPG
zusammen mit dem britischen Institute of Physics.
Dietrich ist eine internationale Kapazität auf dem Gebiet der
Physik von Flüssigkeiten. Er arbeitete in den USA, Japan und
Australien, engagiert sich in der European Physical Society und
kooperiert intensiv mit Forschungsgruppen aus Großbritannien. Ein
Schwerpunkt seiner Forschung ist die Benetzung: das Zusammenspiel von
flüssiger und fester Materie. Zu seinem Arbeitsgebiet zählen
außerdem "kritische" Phänomene. Solche können
zum Beispiel dann auftreten, wenn eine Substanz vom flüssigen in
den gasförmigen Zustand übergeht.
Moleküle und Atmosphäre: Mit dem
Gentner-Kastler-Preis, den die DPG zusammen mit der
Société Française de Physique verleiht, wird Prof.
Dr. Jean-Marie Flaud (55) von der
Université Paris-Sud ausgezeichnet.
Die Atmosphäre sorgt nicht nur für Luft zum Atmen, sie
schützt das Leben auch vor Strahlung aus dem All. Die obersten
Luftschichten sind einem ständigen Beschuss, unter anderem durch
UV-Strahlung ausgesetzt. Dieses Bombardement beeinflusst die Chemie im
Obergeschoss der Atmosphäre: Moleküle werden gespalten und
ihre Eigenschaften verändert - dabei können aggressive
Substanzen entstehen. Flaud, der sich mit Ozon und weiteren Gasen
beschäftigt, hat wesentlich zum Verständnis derartiger
Prozesse beigetragen.
Teamgeist und Wettstreit: Den
Schülerpreis erhalten die deutschen Teilnehmer
der 32. Internationalen Physikolympiade in der Türkei:
Tobias Fritz, Sebastian Höppner, Alexander Köhler,
Stefan Meinel und Stefan Pauliuk. Die
Schüler stammen aus Brandenburg, Thüringen und
Baden-Württemberg. Betreut wurde die Mannschaft vom Gunnar Friege,
wissenschaftlicher Assistent am Kieler Leibniz-Institut für die
Pädagogik der Naturwissenschaften.
Ebenfalls ausgezeichnet werden Patrick Kerner, Bernd Kaifler,
Anja Sutter, Bastian Tomczyk und Matthias
Tröndle. Diese Equipe, angeführt von den
Studiendirektoren Bernd Kretschmer und Rudolf Lehn, belegte Platz zwei
beim 14. International Young Physicists' Tournament. An dem
Wettbewerb, der im Frühjahr 2001 in Finnland stattfand,
beteiligten sich insgesamt 18 Schülergruppen aus Europa und
Übersee. Das deutsche Team ging hervor aus dem so genannten
Schülerforschungszentrum in Bad Salgau bei Ulm.
Die Deutsche Physikalische Gesellschaft e. V. (DPG), deren Tradition bis in das Jahr 1845 zurückreicht, ist die älteste nationale und mit rund 55.000 Mitgliedern auch mitgliederstärkste physikalische Fachgesellschaft der Welt. Als gemeinnütziger Verein verfolgt sie keine wirtschaftlichen Interessen. Die DPG fördert mit Tagungen, Veranstaltungen und Publikationen den Wissenstransfer innerhalb der wissenschaftlichen Gemeinschaft und möchte allen Neugierigen ein Fenster zur Physik öffnen. Besondere Schwerpunkte sind die Förderung des naturwissenschaftlichen Nachwuchses und der Chancengleichheit. Sitz der DPG ist Bad Honnef am Rhein. Hauptstadtrepräsentanz ist das Magnus-Haus Berlin. Website: www.dpg-physik.de