Pressemitteilung
der Deutschen Physikalischen Gesellschaft
Für eine Reform der Lehrerausbildung
Physiker plädieren für ein eigenes Lehramtsstudium im Fach Physik
Berlin, 2. März 2006 – Die Deutsche Physikalische Gesellschaft (DPG) spricht sich für eine grundsätzliche Reform der Ausbildung von Physik-Lehrerinnen und -Lehrern aus. „Bislang ist es üblich, die künftigen Lehrkräfte im Fach Physik gemeinsam mit den Studierenden auszubilden, die eine Karriere in Forschung oder Wirtschaft anstreben. Diese Zusammenlegung geht zu Lasten der Qualität der Lehrerausbildung“, so Professor Dr. Siegfried Großmann, Co-Autor eines heute in Berlin vorgestellten Thesenpapiers der DPG. „Wir plädieren deshalb für ein Lehramtsstudium eigener Art, das sich an den hohen Anforderungen eines zeitgemäßen Schulunterrichts orientiert.“ In der heutigen Wissensgesellschaft gehöre das Verständnis von Naturwissenschaft und Technik zu den Schlüsselqualifikationen, meint Großmann. „Deutschland kann es sich im globalen Wettbewerb nicht leisten, seinen jungen Menschen etwas anderes als die optimal mögliche Schulbildung zu bieten. Das gilt besonders für den Physik-Unterricht.“ Der DPG-Experte betont die Verantwortung des Lehrberufs: „Das heutige Sozialprestige von Lehrerinnen und Lehrern steht leider im krassen Missverhältnis zu ihrer so wichtigen gesellschaftlichen Aufgabe.“
Im Zuge des „Bologna-Prozesses“ – der Schaffung eines europäischen Bildungsraumes – sind die deutschen Universitäten aufgerufen, neue Studiengänge auch für das Lehramt auszuarbeiten. Die DPG schlägt ein Curriculum vor, das in fünf Jahren bzw. zehn Semestern über die Zwischenstufe „Bachelor“ zum „Master of Education“ führt. Leitgedanke dieses Konzepts ist ein eigenständiger Studiengang. „Die bisherige Verfahrensweise verkennt den eigenen Wert der Lehrerausbildung“, erläutert Siegfried Großmann. „Außerdem hat sich gezeigt, dass eine in erheblichem Umfang als „Anhängsel“ an den Fachstudiengang Physik praktizierte Lehrerausbildung modernen Ansprüchen nicht gerecht wird.“ Der DPG-Experte spricht sich für einen engeren Praxisbezug aus: „Angehende Lehrkräfte sollten stärker an ihrer späteren Aufgabe orientiert lernen. Es geht darum, Schülerinnen und Schüler die Physik in Zusammenhängen zwischen Natur und Technik zu vermitteln.“ Auch die Verbindung zum Alltag sei wichtig, so Großmann: „Junge Menschen leben heute in einer Welt, die durch Fernsehen und Computer, aber auch durch Naturerlebnisse und Umweltphänomene geprägt ist. Solche Erfahrungen sind in den Unterricht einzubeziehen.“
Ein Zweifächerstudium – schon jetzt gängige Praxis für künftige Lehrkräfte – wird von der DPG unterstützt. „Die Kombination mit Mathematik halten wir für optimal“, so Großmann, „weil dies den Erwerb mathematischer Kenntnisse einschließt, die für die Physik unentbehrlich sind.“ Angesichts der Ansprüche durch zwei sich rasant entwickelnde naturwissenschaftliche Fächer spricht sich die DPG jedoch dafür aus, den erziehungswissenschaftlichen Teil des Lehramtsstudiums zu reduzieren. „Vermittlungskompetenz ist für Lehrerinnen und Lehrer essentiell“, unterstreicht Großmann. „Dafür benötigen die Lehrkräfte fundiertes Wissen – im fachspezifischen wie im pädagogischen, didaktischen Sinne. Die im Lehramtsstudium für die Fächer zur Verfügung stehende Zeit ist jedoch außerordentlich knapp bemessen. Wir halten es deshalb für den falschen Weg, wenn das Studium der Erziehungswissenschaften zu Lasten des naturwissenschaftlichen Kompetenzerwerbs und der Fachdidaktik übergewichtig wird, wie derzeit zu beobachten.“
Reformbedarf sieht der DPG-Experte nicht nur beim Lehramtsstudium, auch das Angebot an Fortbildungen sei auszubauen. „Lehrerinnen und Lehrer müssen mit der wissenschaftlichen Entwicklung Schritt halten“, sagt Großmann, „aber auch die Möglichkeit dazu haben.“
Das von der DPG vorgeschlagene Konzept sieht ein zehnsemestriges gestuftes Curriculum mit den Abschlüssen „Bachelor“ und „Master“ vor. Solche international üblichen Studiengänge werden infolge des Bologna-Prozesses nun von einigen Bundesländern eingeführt. In anderen jedoch soll das klassische System der Lehrerausbildung mit achtsemestriger Studiendauer beibehalten werden. „Diese länderspezifischen Züge sorgen für eine verminderte Kompatibilität der Ausbildung“, kritisiert Großmann. „Es ist zu befürchten, dass die Chance, im Rahmen des Bologna-Prozesses zu neuen zukunftsträchtigen Studiengängen zu kommen, im Dickicht von staatlichen Vorgaben vertan wird. Die von den Länderministerien ausgearbeiteten Curricula sind so verschieden, dass ein bundesweiter Austausch kaum mehr möglich ist.“ Dies konterkariere die ursprüngliche Absicht, Studiengänge international vergleichbar zu machen. Großmann: „Für Lehrerinnen und Lehrer wäre ein Standortwechsel schon innerhalb Deutschlands noch schwieriger als heute, weil ihre Ausbildung sie an ein bestimmtes Bundesland bindet. Gestaltungsfreiheit und Vielfalt sollten jedoch neben globaler Vergleichbarkeit und Freizügigkeit gedeihen – im Interesse der jungen Menschen.“