20.03.2006

Pressemitteilung

der Deutschen Physikalischen Gesellschaft

Klimaschutz, Quarks und Quantenschleifen

Jahrestagung der Deutschen Physikalischen Gesellschaft in München

München, 20. März 2006 – Mit einem breiten Themenspektrum rund um Wissenschaft und Gesellschaft beginnt heute in München die Jahrestagung der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (DPG). Woher kommt in Zukunft der Strom aus der Steckdose? Enthält das Universum verborgene Dimensionen? Und was hält unsere Welt im Innersten zusammen? Um solche Fragen dreht sich der Kongress, der noch bis 24. März 2006 andauert und zu dem rund 700 Fachleute aus dem In- und Ausland erwartet werden. Gastgeber sind die Technische Universität München und die Ludwig-Maximilians-Universität. (Foto: Rudolf Sterflinger, Fremdenverkehrsamt München)

Neueste Erkenntnisse über das Universum, über Atomkerne und Elementarteilchen setzen die Schwerpunkte. Darüber hinaus reicht das Angebot von der Gepäckkontrolle mit Hilfe modernster Sicherheitstechnik bis zum Atomprogramm des Iran. Auch Energieforschung, Klimaschutz, moderne Informationssysteme und die Situation der Frauen in der Wissenschaft stehen auf der Tagesordnung. Eine Festsitzung mit dem bayerischen Wissenschaftsminister Thomas Goppel und ein öffentlicher Abendvortrag von Nobelpreisträger Theodor Hänsch runden das Programm ab.

Kerne & Teilchen: Auf der Tagung wird unter anderem die Zunft der „Nukleargastronomen“ vertreten sein. Diese Fachleute arbeiten daran, im Labor die „Ursuppe“ nachzukochen. Ihre Zutaten kommen allerdings nicht frisch vorm Markt, vielmehr sind es Atomkerne, die in Teilchenbeschleunigern mit kolossaler Wucht aufeinanderprallen. Ein Ziel solcher Crash-Tests ist die Erzeugung des „Quark-Gluon-Plasmas“. Dieses tobende Konglomerat aus Teilchen – vielfach heißer als das Innere der Sonne – erfüllte einst das gesamte Weltall, unmittelbar nach seiner Geburt vor rund 14 Milliarden Jahren. In München werden hierzu neueste Ergebnisse aus den USA vorgestellt. Außerdem diskutieren die Fachleute über ähnliche Experimente, die hierzulande geplant sind. Im Fokus steht der Beschleunigerkomplex FAIR, der in der Nähe von Darmstadt entstehen soll. Von ihm werden nicht nur Einblicke in die Kinderstube des Universums erwartet. Forscherinnen und Forscher versprechen sich auch neue Erkenntnisse über den Aufbau der Materie, insbesondere über den Klebstoff, der Atomkerne zusammenhält – im Fachjargon heißt er „Starke Wechselwirkung“.

Hinter dieser Bezeichnung verbirgt sich eine fundamentale Naturkraft mit vielen Facetten, die sich alle im Tagungsprogramm widerspiegeln. Einerseits erfasst die Starke Wechselwirkung die Kernbausteine: Protonen und Neutronen; anderseits erstreckt sie sich auf noch kleinere Teilchen – dazu gehören insbesondere die so genannten Quarks.

Mit der Starken Wechselwirkung ebenfalls eng verknüpft ist die Entstehung der chemischen Elemente im Inneren der Sterne. Denn Kohlenstoff, Eisen und Co. sind Nebenprodukte des atomaren Feuers, das Sonnen wie der unseren ihre Strahlkraft verleiht. Anders stellt sich die Situation in Himmelkörpern dar, deren Glut bereits erloschen ist: Die Materie im Herzen bestimmter Sternenleichen – wie „Neutronensternen“ und „Quarksternen“ – könnte zu einem atomaren Brei verpresst sein, der „Farbsupraleiter“ genannt wird und einer frostigen Variante des Quark-Gluon-Plasmas gleichkommt.

Überdies werden in München Experimente mit ausgesuchten Kernteilchen vorgestellt. So lassen sich mit Neutronen Werkstoffe auf Materialfehler prüfen und sogar Motoren im laufenden Betrieb durchleuchten. Das Verfahren ähnelt der Computer-Tomographie per Röntgenblick und kommt auch in Medizin und Archäologie zum Einsatz.

Das Neutron selbst ist ebenfalls ein beliebtes Studienobjekt. Im Februar 2006 meldete ein Forscherteam aus München und Mainz einen Durchbruch bei der Herstellung ultrakalter Neutronen. Diese Teilchen sind so energiearm, dass sie mithilfe von Magnetfeldern gespeichert und in Ruhe beobachtet werden können. Auch der Heidelberger Hartmut Abele (41), der im Rahmen der Tagung den „Gustav-Hertz-Preis der DPG für herausragende junge Physikerinnen und Physiker“ erhält, wird über Experimente mit Neutronen berichten. Abele stellte fest, dass sich diese winzigen Teilchen im Einklang mit der gewohnten Theorie der Schwerkraft bewegen und bestätigte, dass das aus dem Makrokosmos geläufige Newton’schen Gravitationsgesetz auch im Mikrometerbereich gültig ist. Hinweise für die von der „Stringtheorie“ vermuteten „Extradimensionen“ fand er auf dieser Entfernungsskala nicht. Fazit: Falls das Universum neben Raum und Zeit tatsächlich weitere Dimensionen aufweisen sollte, so wirken sich diese — zumindest auf der Mikroskala — nicht auf die Schwerkraft aus.

Raumsonden & Quantenschleifen: Abeles Studien sind bemerkenswert, weil die Stringtheorie als Kandidat für eine umfassende Beschreibung aller Naturkräfte („Weltformel“) gehandelt wird. Dabei geht es insbesondere um die Verknüpfung der gängigen Theorie der Schwerkraft mit der Teilchenphysik. In dieser Hinsicht ist die Stringtheorie allerdings nicht das einzige Angebot. Gerade in jüngster Zeit macht eine Alternative von sich reden, die Raum und Zeit in winzige Parzellen unterteilt: die Schleifen-Quantengravitation. Ihr sind in München mehrere Beiträge gewidmet.

Das Tagungsprogramm befasst sich ebenso mit den Eigenheiten der Schwerkraft auf kosmischer Skala. So gibt es Beiträge über Gravitationswellen und Schwarze Löcher, über Pulsare – rotierende Sterne, die ihr Licht wie Leuchtfeuer ins All schicken – und Vorträge über die Gestalt des Universums: nach Ansicht einiger Forscher könnte es wie eine Trompete geformt sein. Ein Beitrag gilt der „Pioneer-Anomalie“. Dieses Phänomen wurde nach den beiden Pioneer-Raumsonden getauft, die Anfang der 1970er Jahre die Erde verlassen und inzwischen die Grenze unseres Sonnensystems erreicht haben. Wie sich 1998 herausstellte, werden die Sonden von einer unbekannten Kraft abgebremst. Ob Messfehler, „neue Physik“ oder aber der Einfluss von Dunkler Energie und Dunkler Materie – noch ist unklar, was der Grund für die Pioneer-Anomalie sein könnte.

Energieforschung & Klimaschutz: Irdische Angelegenheiten wie die Energieversorgung der Zukunft stehen in München gleichfalls auf dem Programm. Entsprechende Vorträge befassen sich mit Erneuerbaren Energien, aber auch mit fossil befeuerten Kraftwerken hoher Effizienz. Des Weiteren geht es um den Fusionsreaktor ITER, der ab 2007 in Frankreich gebaut werden soll, und um die kürzlich vorgestellte DPG-Studie „Klimaschutz und Energieversorgung in Deutschland 1990-2020“. Sie kommt zu dem Schluss, dass Deutschland seine Klimaschutzziele verfehlt und die Anstrengungen zur Senkung des Treibhausgas-Ausstoßes verstärkt werden müssen. Deshalb plädiert die DPG für eine längere Laufzeit der Kernenergie und für den Bau solarthermischer Kraftwerke. Die öffentliche Podiumsdiskussion „Energiepolitik – Klimaschutz – Energieforschung“ greift dieses Thema auf. Die Veranstaltung findet am Donnerstag, dem 23. März, im Audimax der TU München statt (Arcisstraße 21). Beginn: 19:30 Uhr. Der Eintritt ist frei.

Rüstungskontrolle & Nuklearterrorismus: Um gesellschaftspolitische Themen geht es auch bei den Vorträgen mit dem Leitmotiv „Physik und Abrüstung“. So berichtet Rüstungskontrollexperte Rolf Arlt von seiner Arbeit für die Internationale Atomenergie-Behörde, die US-Amerikanerin Laura Grego (Union of Concerned Scientists) über Waffen in der Erdumlaufbahn. Weitere Themen sind das iranische Atomprogramm, der Kernteststopp-Vertrag, die Umstellung des Münchner Forschungsreaktors FRM-II auf waffen-untaugliches Uran und der Nuklearterrorismus.

Gepäckkontrollen & Sicherheitschecks: Des Weiteren stellen Experten aus der Industrie moderne Sicherheitssysteme vor. Dabei reicht die Vortragspalette von der Gepäcküberwachung per Computer-Tomographie bis zur Zutrittskontrolle per Hautmessung.

Frauen & Forschung: Wie können Wissenschaftlerinnen gefördert, wie mehr Mädchen für Physik begeistert werden? Solche Fragen finden sich ebenfalls im Tagungsprogramm. Ein Beispiel dafür ist der Plenarvortrag „Arbeitsweise, Produktivität und Selbsteinschätzung bei Männern und Frauen in der Wissenschaft“. Er sondiert die Lage in Europa, Japan und den USA. Ferner geht es unter dem Stichwort „gendergerechter“ Physik-Unterricht um einen pädagogischen Ansatz, der den Interessen von Jungen und Mädchen gleichermaßen Rechnung trägt.

Wissen & Information: Der Zugang zu Informationen wird in unserer Gesellschaft immer wichtiger. Dies gilt für „normale“ Bürgerinnen und Bürger ebenso wie für Fachleute, die sich über ihr Forschungsgebiet auf dem Laufenden halten wollen. So befassen sich die Vorträge rund um das Thema „Information“ unter anderem mit dem Urheberrecht und dem „semantischen Web“ – einer Erweiterung des World-Wide-Webs um maschinenlesbare Daten, die auf „Internet-Guru“ Tim Berners-Lee zurückgeht.

Festsitzung & Preisverleihung: Während einer Festsitzung am Mittwoch, dem 22. März, verleiht die DPG ihre beiden wichtigsten Auszeichnungen an Physiker der TU München: Der Glasforscher Wolfgang Götze (68) erhält die „Max-Planck-Medaille für Theoretische Physik“, der Biophysiker Erich Sackmann (70) die „Stern-Gerlach-Medaille für Experimentelle Physik“. Zu den Festrednern zählen Wissenschaftsminister Thomas Goppel und DPG-Präsident Knut Urban.

Physik & Gesellschaft: Zwei öffentliche Abendvorträge ergänzen das Tagungsprogramm. Zum einen gewähren sie spannende Einblicke in die Wissenschaft, zum anderen setzen sich mit der gesellschaftlichen Verantwortung der Physik auseinander. Der Eintritt ist frei:

Dienstag, 21. März 2006, 19:30 Uhr LMU München (Sektion Physik, Schellingstraße 4), Hörsaal E7
„Was erwartet die Gesellschaft von der Physik und den Physiker(inne)n?“, Armin Grunwald, Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse, Forschungszentrum Karlsruhe & Leiter des Büros für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag

Mittwoch, 22. März 2006, 20:00 Uhr LMU München (Hauptgebäude, Geschwister-Scholl-Platz 1), Audimax
„Der Pulsschlag des Lichts“, Physik-Nobelpreisträger Theodor W. Hänsch, LMU & Max-Planck-Institut für Quantenoptik