08.03.2010

Pressemitteilung

der Deutschen Physikalischen Gesellschaft

Kleine Teilchen, dunkle Materie, ferne Welten

Jahrestagung der Deutschen Physikalischen Gesellschaft in Bonn

Bonn, 8. März 2010 – An der Universität Bonn treffen sich vom 15. bis 19. März 2010 rund 2.000 Forscherinnen und Forscher zur Jahrestagung der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (DPG). Aktuelle Entwicklungen im Bereich der Teilchenphysik – wie die kürzlich erfolgte Inbetriebnahme des Teilchenbeschleunigers LHC – stehen ebenso auf der Tagesordnung wie neueste Ergebnisse der Energieforschung und die Suche nach fernen Planeten. Ein weiteres Thema ist die Rüstungskontrolle. Neben dem Fachprogramm gibt es drei öffentliche Vorträge. Diese widmen sich dem LHC, der „Dunklen Materie“ und der atomaren Abrüstung. (Foto: Teilansicht des LHC, CERN)

Der Bonner Kongress überbrückt Dimensionen: Von den winzigen Elementarteilchen bis zu den riesigen Galaxien reicht das Spektrum der im Tagungsband gelisteten Beiträge. Das Programm umfasst mehr als 350 Seiten. Hier einige Einblicke:

Die „Weltmaschine“: In Genf hat vergangenen November der LHC – der größte Teilchenbeschleuniger der Welt – den Betrieb aufgenommen. Rund zwanzig Jahre haben Forscherinnen und Forscher aus aller Welt auf diesen Moment hingearbeitet. „Zum Bonner Kongress liegen nun erstmals Daten von Teilchenkollisionen vor, die am LHC gemessen wurden“, freut sich Tagungsleiter Klaus Desch von der Universität Bonn. „Das gibt uns enormen Aufwind“, sagt der Teilchenphysiker, „insbesondere weil die ersten Daten zeigen, dass die Messsysteme überaus gut funktionieren.“ Die Tagung bietet aber nicht nur Fachleuten sondern auch dem breiten Publikum die Möglichkeit, sich über den LHC zu informieren: In einem öffentlichen Abendvortrag wird der Bonner Teilchenphysiker Norbert Wermes die Ziele des Projekts erläutern: Der neue Teilchenbeschleuniger soll unsere Erkenntnisse über die Naturkräfte, die Bausteine der Materie und die Entwicklung des Universums maßgeblich erweitern. Auf der Wunschliste der Fachleute steht insbesondere der Nachweis des langgesuchten Higgs-Bosons. Dieses Teilchen gilt als zentraler Akteur im Gefüge des Mikrokosmos, denn es soll anderen Partikeln zu deren Masse verhelfen. Es ist der letzte Baustein im Theoriegebäude der Teilchenphysik, dem „Standardmodell“, der bislang nicht nachgewiesen werden konnte. Wird das Higgs-Boson nicht gefunden, müssen die Physiker radikal umdenken. Doch die meisten Forscher gehen ohnehin davon aus, dass das Standardmodell – obwohl sehr erfolgreich – langfristig von einer umfassenderen Naturbeschreibung abgelöst wird. Mit dieser Thematik wird sich der Japaner Hitoshi Murayama in einem Plenarvortrag auseinandersetzen.

Rasende Teilchen: Was kommt nach dem LHC? Über Folgeprojekte und andere Aspekte der Teilchenbeschleunigung wird im Rahmen der Tagung ebenfalls diskutiert. In diesem Zusammenhang geht es auch um die internationale Forschungsanlage FAIR, die im Jahre 2014 in Darmstadt den Betrieb aufnehmen soll. Von diesem Beschleunigerkomplex, der andere Ziele verfolgt als der LHC, erhoffen sich die Physiker neue Erkenntnisse über den Aufbau der Kernmaterie und die Entstehung der chemischen Elemente.

Kosmische Energiebündel: Elementarteilchen flitzen nicht nur durchs Labor, als kosmische Teilchenstrahlung erreichen sie uns auch aus der Tiefe des Alls. Mitunter sind hier kolossale Energien im Spiel, die selbst für den LHC unerreichbar sind. Welche natürlichen Prozesse können solche Energien freisetzen? Forscher tippen auf Sternexplosionen und Schwarze Löcher. Vor diesem Hintergrund werden sich mehrere Vorträge mit der kosmischen Teilchenstrahlung und auch mit der ebenfalls sehr energiereichen kosmischen Gammastrahlung befassen.

Dunkle Materie: Die Bewegungen von Galaxien deuten darauf hin, dass das Universum neben Materie in Gestalt von Sternen und Gaswolken noch etwas anderes enthält. Diese Dunkle Materie gibt keine Strahlung ab und macht sich allein durch ihre Schwerkraft bemerkbar. Für die Entwicklung des Universums, insbesondere für die Bildung von Galaxien scheint sie von zentraler Bedeutung zu sein. Doch aus was besteht die Dunkle Materie? Theoretiker tippen auf bislang nicht nachgewiesene „supersymmetrische“ Teilchen. Mit Hilfe des LHC hofft man, diese Teilchen künstlich zu erzeugen und untersuchen zu können. Auch mit astronomischen Beobachtungen wird nach der Dunklen Materie gefahndet. In Bonn werden sich zahlreiche Vorträge mit der Dunklen Materie beschäftigen. Ein Pionier dieses Fachgebiets ist der britische Kosmologe Simon White, der in Garching bei München am Max-Planck-Institut für Astrophysik arbeitet. Während der Tagung hält er einen öffentlichen Vortrag mit dem passenden Titel: „Dark Matters“.

Himmlische Schwergewichte: Schwarze Löcher sind die Überreste ausgebrannter Sterne. Ihre Schwerkraft ist so gewaltig, dass sie sämtliche Materie in ihrer Umgebung aufsaugen. Selbst das Licht kann ihnen nicht entkommen. Ein Schwarzes Loch wird beispielsweise im Herzen der Milchstraße und auch im Zentrum anderer Galaxien vermutet. Diverse Vorträge werden sich mit den neuesten Erkenntnissen über diese himmlischen Schwergewichte befassen.

Ferne Welten: Einst rätselte man darüber, ob Planeten auch fremde Sonnen umkreisen. Das ist Vergangenheit, seit 1993 wurden mehr als 400 solcher „Exoplaneten“ entdeckt. Dieses Forschungsgebiet durchläuft derzeit eine rasante Entwicklung, denn die Messmethoden der „Planetenjäger“ werden immer feiner. Jüngst konnten Forscher erstmals den chemischen Fingerabdruck eines Exoplaneten direkt bestimmen und damit Einblick in die Zusammensetzung seiner Atmosphäre gewinnen. Vor diesem Hintergrund geht es bei der Tagung um Exoplaneten: um deren Entstehung, Nachweis und auch um die Frage, ob es außerhalb der Erde Leben geben könnte.

Sonniger Kokon: Die Sonne leuchtet nicht nur: Ständig schleudert sie auch elektrisch geladene Teilchen ins All. Dieser „Sonnenwind“ verdrängt das interstellare Medium, ein extrem dünnes Gas zwischen den Sternen, und hüllt das Sonnensystem in einen Kokon, der weit in den Weltraum hinausreicht. Neueste Erkenntnisse über diese „Heliosphäre“, die derzeit vom Forschungssatelliten IBEX untersucht wird, werden in Bonn diskutiert. Außerdem geht es um die ungewöhnlich lange Ruhephase, die unser Muttergestirn bis vor kurzem durchlebt hat. Erst in jüngster Zeit scheint die Sonne daraus „erwacht“ zu sein. Über viele Monate war sie nahezu makellos, inzwischen jedoch kommen wieder Sonnenflecken zum Vorschein.

Energische Trends: Während der Tagung werden aktuelle Entwicklungen im Bereich der Energieforschung diskutiert. Das Themenspektrum reicht von solarthermischen Kraftwerken und Photovoltaik über Kernspaltung und Kernfusion bis zu intelligenten Stromnetzen und Energiespeichern für Elektrofahrzeuge.

Brisante Entwicklungen: Die Vorträge zur Rüstungskontrolle befassen sich unter anderem mit der Verbreitung von Technologie der Uran-Anreicherung und dem iranischen Atomprogramm. Außerdem geht es um den Klimawandel als Auslöser von Konflikten und um den Einsatz von Kampfdrohnen in Krisengebieten. Des Weiteren wird das Thema „Raketenabwehr“ behandelt. Zum Schutz vor Raketen aus Iran und Nordkorea hatten die USA ein Abwehrsystem in Osteuropa vorgesehen – ein Vorhaben, das von Russland heftig kritisiert wurde. Im vergangenen September wurde dieses Projekt von der US-Regierung gestoppt. Wie geht es nun weiter? Darüber wird in Bonn diskutiert. Überdies spricht der US-Amerikaner Sidney Drell in einem öffentlichen Abendvortrag über die Chancen auf eine Welt ohne Atomwaffen.

Feierlicher Höhepunkt: Während eines Festakts, der am 17. März in der Bonner Oper stattfindet und an dem der nordrhein-westfälische Minister für Innovation, Andreas Pinkwart, teilnehmen wird, zeichnet die DPG zwei Spitzenforscher aus: Der Festkörperphysiker Dieter Vollhardt von der Universität Augsburg erhält die Max-Planck-Medaille für theoretische Physik. Vollhardts Forschungsergebnisse dienen dem Verständnis der mikroskopischen Vorgänge in magnetischen Materialien und Metalloxiden. Die Stern-Gerlach-Medaille für experimentelle Physik geht an Horst Schmidt-Böcking von der Universität Frankfurt am Main. Bereits in den 1980er Jahren entwickelte Schmidt-Böcking ein Messverfahren, das detaillierte Einblicke in das Innenleben von Atomen und Molekülen liefert. Heute wird diese Technik von Forschungslabors in aller Welt genutzt.

Öffentliche Vorträge: Teil des Tagungsprogramms sind drei öffentliche Vorträge. Der US-Amerikaner Sidney Drell spricht über atomare Abrüstung. Ein anderer Vortrag widmet sich der Dunklen Materie. Im dritten Vortrag geht es um den Teilchenbeschleuniger LHC. Die Vorträge finden in der Aula der Universität Bonn (Hauptgebäude, Regina-Pacis-Weg 3) und in der Bonner Oper (Am Boeselagerhof 1) statt. Der Eintritt ist frei.

Universität Bonn: Dienstag, 16. März, 20:00 Uhr
„Working Toward a World Without Nuclear Weapons“, Vortrag in englischer Sprache
Prof. Sidney Drell, Stanford Linear Accelerator Center (USA)

Opernhaus Bonn: Mittwoch, 17. März, 12:10 Uhr
„Dark Matters“, Vortrag in englischer Sprache im Rahmen des Festaktes, der anlässlich der Tagung stattfindet
Prof. Simon White, Max-Planck-Institut für Astrophysik, Garching

Universität Bonn: Mittwoch, 17. März, 20:00 Uhr
„Mikro- trifft Makrokosmos: mit dem Large Hadron Collider auf der Suche nach Antworten auf fundamentale Fragen“
Prof. Norbert Wermes, Universität Bonn

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