Physiker zwischen Autonomie und Anpassung - Die Deutsche Physikalische Gesellschaft im Dritten Reich

Die physikalische Forschung in Deutschland der Zwanziger Jahre war geprägt von wissenschaftlichen Glanzleistungen, insbesondere auf dem Gebiet der Theoretischen Physik. Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten kam es in der Folgezeit zur Vertreibung namhafter jüdischer Wissenschaftler und einer militärisch-anwendungsbezogenen Neuausrichtung der Forschung. Welche Rolle spielte die Deutsche Physikalische Gesellschaft in diesen politisch unruhigen Zeiten? Welchen Einfluss übten die Vertreter einer so genannten "Deutschen Physik" auf die physikalische Forschung und deren Institutionen aus? War der Versuch, sich der Vereinnahmung durch ein totalitäres Regime zu entziehen, von vornherein zum Scheitern verurteilt? Eine Gruppe namhafter Autoren beleuchtet wesentliche Aspekte und Zusammenhänge einer Organisation im Spannungsfeld zwischen politischer Anpassung und wissenschaftlicher Autonomie.

Geleitwort

drittesreich.jpg
drittesreich.jpg

Die Deutsche Physikalische Gesellschaft (DPG), hervorgegangen aus der bereits 1845 gegründeten Physikalischen Gesellschaft zu Berlin, ist die älteste und größte physikalische Fachgesellschaft der Welt. Ihre Entwicklung ist von Anfang an durch eine stete Zunahme der Mitgliederzahl und einen Zuwachs an wissenschaftlicher Reputation gekennzeichnet. Besonders sichtbar wird diese Entwicklung in den Jahrzehnten um 1900, als die physikalische Forschung in Deutschland auf vielen Gebieten eine weltweit führende Rolle einnahm. Die DPG wurde in diesen Jahrzehnten durch Präsidenten wie Emil Warburg, Max Planck und Albert Einstein geleitet, die zugleich Symbole für physikalische Exzellenz darstellten. Darüber hinaus zählten Planck und Einstein zu den am weitesten herausragenden Forschern des beginnenden 20. Jahrhunderts.

Das Jahr 1933 beendete diese Blütezeit der Physik und führte zu einschneidenden Veränderungen. Die nationalsozialistische Diktatur verfolgte politische Gegner und Andersdenkende und entzog jüdischen Intellektuellen und Wissenschaftlern ihre Existenzgrundlage. Ihre rassistische Ausgrenzungs- und Repressionspolitik hatte den teilweisen Niedergang der physikalischen Forschung in Deutschland zur Folge. Welche Rolle die DPG in diesem Prozess spielte, wurde bisher nur unzureichend behandelt. Eine Auseinandersetzung mit diesem Kapitel der deutschen Physikgeschichte fand lediglich im Rahmen von Biographien und bei der Behandlung allgemeiner physikhistorischer Entwicklungen statt. Die Deutsche Physikalische Gesellschaft ist sich dieses Defizits bewusst.

Dieses Forschungsdesiderat vor Augen, regte Dieter Hoffmann, DPG-Fachverbandsvorsitzender „Geschichte der Physik“, im Vorfeld der Vorbereitungen zum Jahr der Physik 2000 an, die Geschichte der Deutschen Physikalischen Gesellschaft im Dritten Reich einer speziellen Untersuchung zu unterziehen. Diese Initiative wurde sofort und vorbehaltlos vom damaligen DPG-Präsidenten Alexander Bradshaw aufgegriffen, denn es war ebenfalls ein besonderes Anliegen der DPG, ihre Vergangenheit in der Zeit des Nationalsozialismus aufzuarbeiten. Aus diesem Grund wurde eine Kommission des Vorstands damit beauftragt, die nötigen Voraussetzungen für die Aufarbeitung der DPG-Geschichte zu klären. Als Ergebnis dieses Klärungsprozesses wurde dem Vorstandsrat im Frühjahr 2001 vorgeschlagen, ein von der DPG finanziertes Forschungsprojekt ins Leben zu rufen und den amerikanischen Wissenschaftshistoriker Mark Walker mit dessen Leitung zu betrauen. Dabei ging man von der Erwartung aus, dass dieses Forschungsprojekt auch die in der DPG vorhandenen Kompetenzen einbezieht. In Abstimmung mit Mark Walker erfolgte die Einsetzung von Dieter Hoffmann zum Co-Direktor des Projektes. Der ehemalige Präsident der DPG, Theo Mayer-Kuckuk, wurde vom DPG-Vorstand mit der Kommunikation zwischen DPG und Herausgebern beauftragt. Eine international zusammengesetzte, unabhängige Autorengruppe beschäftigte sich in den folgenden Jahren mit den unterschiedlichen Aspekten der Geschichte der DPG im Dritten Reich. Die Ergebnisse werden nun im vorliegenden Sammelband präsentiert.

Für die geleistete Arbeit möchte ich den beiden Herausgebern, Mark Walker und Dieter Hoffmann, sowie allen anderen Beteiligten im Namen unserer Gesellschaft großen Dank aussprechen. Diese Arbeit ist mehr als eine zusammenhängende Dokumentation und Analyse der Geschichte der DPG und der Physik in Deutschland – sie ist eine Arbeit gegen das Vergessen. Denn wie sich die Zukunft entwickeln wird, hängt ganz entscheidend von unserer Fähigkeit ab, sich immer wieder der eigenen Geschichte zu stellen und aus ihr zu lernen.

Würzburg, 29. Oktober 2006
Eberhard Umbach
Präsident der Deutschen Physikalischen Gesellschaft

 

 

Inhalt

Geleitwort     VII

Vorwort     IX

Die Deutsche Physikalische Gesellschaft im nationalsozialistischen Kontext     1
Mark Walker

Die Naturforscherversammlung in Nauheim im September 1920
Eine Einführung in das Wissenschaftsleben der Weimarer Republik     29
Paul Forman

Rahmenbedingungen und Autoritäten der Physikergemeinschaft im Dritten Reich     59
Richard H. Beyler

Die Ausgrenzung und Vertreibung der Physiker im Nationalsozialismus
Welche Rolle spielte die Deutsche Physikalische Gesellschaft?     91
Stefan L. Wolff

Die Deutsche Physikalische Gesellschaft und die »Deutsche Physik«     139
Michael Eckert

Die Ramsauer-Ära und die Selbstmobilisierung der Deutschen Physikalischen Gesellschaft      173
Dieter Hoffmann

Die Planck-Medaille     217
Richard Beyler, Michael Eckert und Dieter Hoffmann

Die Deutsche Physikalische Gesellschaft und die Forschung     237
Gerhard Simonsohn

Misstrauen, Verbitterung und Sentimentalität
Zur Mentalität deutscher Physiker in den ersten Nachkriegsjahren     301
Klaus Hentschel

»Sauberkeit im Kreise der Kollegen«
Die Vergangenheitspolitik der Deutschen Physikalischen Gesellschaft     359
Gerhard Rammer

Die Deutsche Mathematiker-Vereinigung im Dritten Reich
Fachpolitik im Netz der nationalsozialistischen Ideologie     421
Volker Remmert

»Dem Duce, dem Tenno und unserem Führer ein dreifaches Sieg Heil!«
Die Deutsche Chemische Gesellschaft und der Verein Deutscher Chemiker in der NS-Zeit     459
Ute Deichmann

Abbildungen     499

Dokumentenanhang     525

Albert Einstein, Max von Laue und Johannes Stark     530

Außenpolitik     549

Die Haber-Feier 1935     557

Gleichschaltung     562

Die Planck-Medaille     579

Selbstmobilisierung     592

Nachkriegszeit     636

Häufig verwendete Abkürzungen     659

Siglen     661

Autorenverzeichnis     663

Personenregister     665

Bildnachweis     675

 

 

Bezug:
Das Buch "Physiker zwischen Autonomie und Anpassung" kann bei dem Verlag WILEY-VCH oder im Buchhandel bestellt werden.