Energiewende: alternativ- und grenzenlos
Ausgabe 48 | September 2020 | „Neue technologische und systemische Ansätze zeigen Perspektiven auf, die zeigen, dass sich die Energiewende erfolgreich umsetzen lässt.“ Lutz Schröter, Präsident der Deutschen Physikalischen Gesellschaft
Download: Physikkonkret 48 - Energiewende: alternativ und grenzenlos [PDF]
Sonderausgabe zum Jubiläum 175 Jahre DPG aus der Reihe „Klima und Energie“
- Großräumige Netzinfrastrukturen sind für das Gelingen der Energiewende unabdingbar
- Gleichstromtechnik hilft Stromnetze zu stabilisieren
- Flüssige organische Kohlenstoffverbindungen aus erneuerbaren Energien ermöglichen die Nutzung bestehender Infrastrukturen
Im Gegensatz zu Biogas, Geothermie oder Wasserkraft sind die wichtigsten Stützen der Energiewende – Wind und Sonne – hochgradig volatil – ebenso wie der Energie- und Strombedarf. Trotzdem ist ein Ausgleich möglich. Die zeitliche Fluktuation unkorrelierter Quellen und Verbraucher ist in der Summe umgekehrt proportional zur Wurzel der Anzahl der Quellen und Senken: je mehr dezentrale Erzeuger und Verbraucher, desto besser. Wetterabhängige Schwankungen haben typischerweise Ausdehnungen von einigen hundert Kilometern. Um Fluktuationen auszugleichen, braucht es daher ein entsprechend großes Verbundnetz. Tag/ Nacht-Unterschiede lassen sich durch ausgedehnte Netze in Ost-West-Richtung mildern.
In allen Fällen sind großräumige „Blackouts“ zu vermeiden. Anfällig dafür sind vor allem die vor hundert Jahren entwickelten Wechselstromnetze, die auf Grund der physikalischen Gesetze der Drehstromgeneratoren eine inhärente Kopplung von Last und Phase haben. Bei Lastschwankungen entstehen Phasenverschiebungen, die zu Blackouts führen können. Daher ist es wichtig, großräumige Netze in Gleichstromtechnik (HGÜ) zu betreiben, in denen es diese Instabilitäten nicht gibt. Zudem weist die Gleichstromtechnik über Entfernungen von einigen hundert Kilometern geringere Verluste auf.
Eine gelingende Energiewende muss allerdings ebenso den Wärmemarkt und die Mobilität im Auge behalten. Wichtig wird die Wärmeisolation kombiniert mit elektrischen Wärmepumpen1 (auch für Klimatisierungen), elektrische Schienenfahrzeuge sowie leichte batteriebetriebene Autos. Ein Vorteil ist, dass damit ein Großteil der Fluktuationen durch geschicktes Lastmanagement aufgefangen werden kann.
Trotzdem werden für die Energiewende Energiespeicher notwendig sein2. Fachleute unterscheiden dabei meist effiziente, aber teure Speicher und ineffiziente, aber oft preiswerte Speicher, wenngleich deren Wirtschaftlichkeit stark von den gesetzlichen Rahmenbedingungen abhängt, die dringend überarbeitet werden müssen.
Effiziente Speicher zeichnen sich durch geringe Energieverluste aus. Sie eignen sich besonders, wenn Energie in Zeiträumen von Minuten bis Tagen umgeschlagen werden muss. Zu ihnen gehören Batterien, Superkondensatoren, Redox-Flussbatterien, Wärmespeicher für Solarkraftwerke oder Pumpspeicherkraftwerke. Graphen-Superkondensatoren, neue Batterien aus Holz (Lignin-Redox-Batterien) sowie Unterwasser-Pumpspeicherkraftwerke sind zukunftsweisend und sehr vielversprechend.
„Ineffiziente“ Speicher sind solche mit stärkeren Energieverlusten – oft aber sehr preisgünstig. Vielversprechend sind flüssige organische Wasserstoffträger (LOHC), wie beispielsweise das als Wärmeträgeröl bekannte Dibenzyltoluol. Sie können Wasserstoff preisgünstig und ungefährlich in existierender Infrastruktur mit hoher Dichte transportieren und speichern. Darüber hinaus ist mit ihnen ein Welthandel möglich, beispielsweise von Wasserstoff aus erneuerbarem Solarund Windstrom, der in sonnen- oder windreichen Regionen der Erde zu Preisen von zukünftig etwa 1ct/kWh produziert werden kann – selbst, wenn signifikante Transport- und Umwandlungskosten hinzukommen.
Fußnoten und Quellen:
1. Siehe Physikkonkret 49
2. Siehe Physikkonkret 52
Quelle: Michael Düren, ZEU/JLU Gießen
Icons: The Noun Project (https://thenounproject.com/) Strommast & Haus: Arthur Shlain / Windmühlen: Marco Galtarossa / Bus: zidney / Batterie: ProSymbols
Die Deutsche Physikalische Gesellschaft dankt Michael Düren vom Zentrum für internationale Entwicklungs- und Umweltforschung (ZEU) der Justus-Liebig-Universität Gießen für die wissenschaftliche Beratung.