Fusion – die Entwicklung einer neuen CO2-freien Energiequelle
Ausgabe 51 | September 2020 | „Die Fusion hat das Potential, einen von Wind, Wetter und Energieimporten unabhängigen Beitrag zu einer zuverlässigen Energieerzeugung zu leisten.“ Lutz Schröter, Präsident der Deutschen Physikalischen Gesellschaft
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Sonderausgabe zum Jubiläum 175 Jahre DPG aus der Reihe „Klima und Energie“
- Ein Fusionsplasma zu erzeugen, das deutlich mehr Energie liefert als ihm zugeführt wird, rückt näher.
- Zwei Konzepte sind besonders aussichtsreich.
- Mit seiner Beteiligung an ITER und dem Stellarator Wendelstein 7-X in Greifswald gehört Deutschland zur Spitze der Forschung.
In einem Festakt1 Ende Juli 2020 feierte der französische Präsident Emmanuel Macron zusammen mit Regierungsvertretern aus China, Europa, Indien, Japan, Südkorea, Russland und den USA den Beginn der Montage des internationalen Fusionsprojekts ITER2, das zurzeit in Cadarache, Südfrankreich, entsteht. Die sieben ITER-Partner repräsentieren etwa die halbe Weltbevölkerung.
Das Ziel der internationalen Fusionsforschung ist, die Grundlagen für den Bau eines Fusionskraftwerks zu schaffen. Die aussichtsreichsten Konzepte gehen von Deuterium und Tritium (beides Wasserstoff-Isotope) als Brennmaterialien aus, die zu Helium und einem Neutron verschmelzen. Für eine positive Energiebilanz werden ausreichend viele Reaktionen benötigt sowie Temperaturen zwischen 100 und 200 Millionen °C und eine Wärmeisolation, die es erlaubt, die hohen Temperaturen aufrecht zu erhalten. Den Einschluss des Brennstoffs – ein Plasma, d. h. ein dünnes, nahezu vollständig ionisiertes Gas – und damit die Wärmisolation übernehmen Magnetfelder. Dass das funktioniert, hat das Europäische Fusionsexperiment Joint European Torus (JET) bereits gezeigt.
In ITER soll die Fusionsleistung erstmalig über mehrere Minuten die Heizleistung um einen Faktor 10 übersteigen und 500 MW erreichen – das ist so viel wie ein mittelgroßes, konventionelles Kraftwerk zu leisten vermag. ITER wird damit wesentliche physikalische und technische Grundlagen für ein künftiges Kraftwerk liefern. ITER erlaubt erstmals, ein brennendes Fusionsplasma unter Laborbedingungen zu studieren und das Erzeugen von Tritium aus Lithium mit Hilfe schneller Fusionsneutronen in technischem Maßstab zu erproben.
ITER und JET – sowie in Deutschland ASDEX Upgrade – beruhen auf dem Tokamak-Prinzip: In diesen Anlagen erzeugt ein starker Plasmastrom einen Teil des einschließenden Magnetfelds. Anlagen vom Typ Stellarator kommen ohne diesen Plasmastrom aus, weshalb sie für den Dauerbetrieb geeigneter sind. Allerdings wird dieser Vorteil durch eine komplexe Spulen- und Plasmaform erkauft. Dass damit ein Plasmaeinschluss möglich ist, der die Entwicklung zu einem Kraftwerk erlaubt, wird mit Wendelstein 7-X untersucht, der 2015 in Greifswald in Betrieb ging. Die Anlage hat bereits Rekordwerte für das Produkt aus Plasmadruck und charakteristischer Einschlusszeit (Tripelprodukt) erreicht. Nach dessen Ausbau, der Ende 2021 abgeschlossen sein soll, werden Hochleistungsplasmen mit 30 Minuten Dauer angestrebt.
Ausgehend von den heute bekannten physikalischen und technischen Grundlagen wird ein künftiges Fusionskraftwerk etwa ein Gigawatt elektrischer Leistung und zusätzlich Wärme liefern. Im Rahmen des Europäischen Fusionskonsortiums EUROfusion3 wird an einem entsprechenden Kraftwerkskonzept gearbeitet. Die Fusion hat somit das Potential, langfristig zu einer zuverlässigen Energieerzeugung beizutragen.
Fußnoten
1. Wegen des Ausbruchs der Corona-Pandemie COVID-19 musste auf eine große Präsenzfeier verzichtet werden. Macron und die anderen Regierungsvertreter nahmen daher per Liveübertragung über Internet teil.
2. ITER steht für International Thermonuclear Experimental Reactor; lateinisch bedeutet das Wort ebenso Weg, Marsch oder Reise
Die Deutsche Physikalische Gesellschaft dankt dem Autor Robert Wolf vom Max-Planck-Institut für Plasmaphysik.