Im Avogadro-Experiment wurden anhand nahezu perfekter Einkristallkugeln aus Silizium (hier in einem Kugelinterferometer) gleich zwei Naturkonstanten bestimmt: die Avogadro-Konstante NA und das Planck‘sche Wirkungsquantum h. Nach der Festlegung der Konstanten sind derartige Si-Kugeln eine Möglichkeit, das Kilogramm zu realisieren. (Foto: PTB)

Naturkonstanten als Maß aller Dinge

Ausgabe 34 | September 2018 | „Ein universelles Einheitensystem ist vieles in einem: eine diplomatische Meisterleistung, ein ästhetisches Gebilde und ein technologisches Versprechen. “ - Dieter Meschede, Präsident der Deutschen Physikalischen Gesellschaft

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  • Naturkonstanten definieren künftig die Einheiten im Internationalen Einheitensystem (SI)
  • Das neue Einheitensystem tritt am 20. Mai 2019 in Kraft
  • Es bildet eine Art universelle Sprache und ist offen für technologische Innovationen

Die Welt ist sich in vielen Dingen nicht einig. Aber alle wollen mit denselben Maßen messen. Ein Wunsch, der sich in einer globalisierten Welt wirtschaftlich buchstäblich auszahlt. Am Weltmetrologietag am 20. Mai 2019 kommt es daher zu einem Paradigmenwechsel (Metrologie ist die Wissenschaft vom physikalisch präzisen Messen). Vorbei die Zeiten, in denen ein Metallzylinder vorschreibt, was ein Kilogramm sein soll, oder eine spezifisch herzustellende Isotopenmischung von Wasser die Einheit der Temperatur festlegt. Das Internationale Einheitensystem (Systeme international d`unités, kurz: SI) erfährt mit der 26. Generalkonferenz für Maß und Gewicht im November 2018 eine grundsätzliche Änderung: Naturkonstanten definieren dann alle physikalischen Einheiten, darunter die Lichtgeschwindigkeit c, das Plancksche Wirkungsquantum h und die Boltzmann-Konstante k.

Unzulänglichkeiten bei den Definitionen von Kilogramm, Kelvin und Co. machen diesen Paradigmenwechsel notwendig. Besonders prägnant: Das Ur-Kilogramm und seine Kopien unterscheiden sich in ihrer Masse zum Teil um ein halbes Mikrogramm pro Jahr [siehe Physikkonkret Nr. 22] – ein auf Dauer unhaltbarer und im Detail unverstandener Effekt. Ähnlich ergeht es anderen Einheiten, was ironischer Weise derzeit dazu führt, dass die offiziellen Werte der Naturkonstanten regelmäßig angepasst werden mussten und daher „veränderlich“ waren! So bekam die Ladung des Elektrons alle vier Jahre einen neuen Zahlenwert – obwohl sie sich real natürlich nicht geändert hat.

Deswegen nehmen die Metrologie-Institute künftig das Stabilste, was die Physik zu bieten hat: Naturkonstanten! Diese tauchen in allen fundamentalen Gleichungen der Physik auf und bestimmen somit das „Regelwerk“ der Natur. Nachdem metrologische Institute auf der ganzen Welt in extrem aufwendigen Experimenten die Werte der wichtigsten Naturkonstanten möglichst exakt gemessen haben, werden deren Werte im November 2018 nun ein für alle Mal festgelegt.

Alle Einheiten lassen sich dann als Kombination von Naturkonstanten darstellen: Die Sekunde mit dem Bezug auf einen Elektronenübergang im Cäsiumatom und der Meter mit dem Bezug zur Lichtgeschwindigkeit hatten dies schon vorgemacht; und auch die elektrischen Einheiten Volt und Ohm hatten sich schon bei Quanteneffekten und entsprechenden Konstanten für ihre Realisierung bedient. Mit der Neuregelung ist das Kilogramm jetzt sehr eng mit dem Planckschen Wirkungsquantum h verkoppelt, das Kelvin mit der Boltzmann-Konstante k und das Ampere mit der Elementarladung e. Für eine vollständige Darstellung kommen freilich noch weitere Konstanten hinzu.

Das komplett neu definierte Einheitensystem beseitigt die Mängel des bisherigen Systems, wobei die Änderungen im täglichen Leben nicht bemerkbar sind. Der Vorteil ist jedoch überzeugend: Naturkonstanten gelten überall. Damit bildet das neue SI gewissermaßen eine universelle Sprache, im Gegensatz zum Ur-Kilogramm oder dem Tripelpunkt von Wasser, die auf historisch gewachsenen, durch Herstellungsvorschriften definierten Objekten basierten. Damit ist das SI für alle Zeiten und an jedem Ort offen für alle technologischen Innovationen.


 

Die Deutsche Physikalische Gesellschaft dankt ihrem Autor Dr. Dr. Jens Simon von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB).