Die von der Bundesregierung und den Regierungen der Länder beschlossenen Kontakt-Beschränkungen zusammen mit den Verhaltensänderungen haben ermöglicht, dass das Coronavirus in Deutschland so schnell zurückgedrängt werden konnte. © Max-Planck-Instituts für Dynamik und Selbstorganisation, Göttingen.

Die Physik der Corona-Pandemie

Ausgabe 46 | Juni 2020 | „Im Kampf gegen das Coronavirus arbeiten viele Disziplinen zusammen. Die Physik leistet dazu wichtige Beiträge.“ Lutz Schröter, Präsident der Deutschen Physikalischen Gesellschaf

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  • Die Physik hilft, die Struktur des Virus aufzuklären sowie Wirkstoffe und Medikamente gegen das Virus zu finden.
  • Physikalisch-mathematische Modellierung zeigt, welche Maßnahmen die Ausbreitung des Virus effizient eindämmen können.
  • Die Physik ist ein wichtiges Bindeglied im interdisziplinären Kampf gegen das Virus.

Die Bekämpfung des Coronavirus SARSCoV-2 stellt eine gewaltige Herausforderung für unsere Gesellschaft dar. Gemeinsam mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern anderer Disziplinen leisten Physikerinnen und Physiker dabei wichtige Beiträge – von modernen Messtechniken über Experimente zu den Verbreitungsmechanismen des Virus bis hin zur Modellierung der epidemiologischen Gesamtdynamik.

Bereits im Februar 2020 war es mithilfe von Röntgenlicht aus der Beschleunigeranlage BESSY II des Helmholtz-Zentrums Berlin gelungen, die Struktur eines Schlüsselproteins des Coronavirus aufzuklären, das an der Vermehrung der Viren beteiligt ist. Solche Erkenntnisse helfen bei der Suche nach Wirkstoffen.

Das gleiche Ziel verfolgen die Forscherinnen und Forscher an der Röntgenstrahlungsquelle Petra III vom Deutschen Elektronen-Synchrotron DESY in Hamburg. Sie testen in einem speziell entwickelten Verfahren parallel mehrere tausend bestehende Wirkstoffe daraufhin, ob sie als Medikamente gegen SARS-CoV-2 geeignet sind.

Und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für die Physik des Lichts und der Universität Erlangen-Nürnberg versuchen live zu verfolgen, wie lebende Coronaviren in die Zellen des Menschen eindringen und was genau bei einer Infektion geschieht.

Solange aber keine Medikamente oder Impfstoffe gegen das SARS-CoV-2-Virus verfügbar sind, bleiben Schutzmaßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus unerlässlich. Die Wirkung von Schutzmasken und Abstandsregeln wird dazu in fluiddynamischen Untersuchungen der Ausbreitung von Tröpfchen und Aerosolen nach dem Atmen, Niesen oder Husten untersucht.

Die Dynamik von Epidemien ist ein Kernthema der Physik und Mathematik stochastischer Prozesse. Die hier entwickelten Modelle analysieren, welche Parameter über die mittlerweile wohlbekannte Reproduktionszahl R hinaus wichtig sind, und welche Rolle statistische Ausreißer – wie Superspreaders oder Großveranstaltungen – spielen.

Forschende des Max-Planck-Instituts für Dynamik und Selbstorganisation in Göttingen haben die Ausbreitung des Coronavirus sowie die Wirkung verschiedener Maßnahmen zu seiner Eindämmung modelliert. Demnach haben die von der Bundesregierung und den Regierungschefs der Länder beschlossenen Kontakt-Beschränkungen vom 22. März 2020 in der Tat verhindern können, dass sich das Coronavirus in Deutschland weiterhin exponentiell ausbreiten konnte.

Entsprechende Zeitserienanalysen der COVID-19-Fall- und -Todeszahlen listet das von Horizon 2020 der Europäischen Union gefördertes Projekt OSCOVIDA (Open Science COVID Analysis) zeitnah auf, dessen Quellcode und Daten für jedermann frei verfügbar sind.

Eines ist sicher: Die Corona-Pandemie lässt sich umso wirkungsvoller eindämmen, je mehr Wissenschaftsdisziplinen zusammenwirken und auf diese Weise der Politik und Gesellschaft eine möglichst belastbare Entscheidungsbasis schaffen. Die Physik als Grundlagenwissenschaft aller Naturerkenntnis leistet dazu vielfältige Beiträge und spielt eine wichtige Rolle bei der Vernetzung der verschiedenen Erkenntnisebenen.

 


Quellen

 

Die Deutsche Physikalische Gesellschaft dankt Dr. Viola Priesemann vom Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation, Göttingen, für die wissenschaftliche Beratung.