Auf dünnem Eis: Arktisches Meereisminimum 2020 auf zweitniedrigstem Wert
Ausgabe 53 | Dezember 2020 | „Die Vorgänge am Nordpol geben Anlass zur Sorge. Wir müssen auch in unseren Breiten mit einem starken Einfluss auf das Klima rechnen.“ Lutz Schröter, Präsident der Deutschen Physikalischen Gesellschaft
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Klima und Energie: Sonderausgabe zum Jubiläum 175 Jahre DPG
- Der Arktische Ozean ist ein „Hot Spot“ des Klimawandels
- Die Ausdehnung des Meereises nimmt dort bedenklich ab, ebenso wie dessen Dicke
- Die Prozesse in der Arktis beeinflussen unmittelbar unser Klima
Satellitenbeobachtungen des Meereises in der Arktis und auch die Beobachtungen, die die Polarstern auf ihrer jüngsten Expedition ins nördliche Polarmeer machte, sind besorgniserregend: Das Meereis in der Arktis schmilzt bedenklich. Im Sommer ist die Meereisfläche mittlerweile nur noch etwa halb so groß wie vor 30 Jahren (s. Abb. 1).
In diesem Jahr wurde Mitte September mit 3,8 Millionen km² nach dem Jahr 2012 die zweitniedrigste Meereisausdehnung seit Beginn der Satellitenbeobachtungen in den 1970ern gemessen (Abb. 2). Bis Mitte des Jahrhunderts ist damit zu rechnen, dass die Sommermeereisausdehnung unter eine Million km² fällt, was im Rahmen der Klimamodellierung als „eisfrei“ definiert ist [2].
Die Ursache hierfür ist der Klimawandel. Neben der Eisfläche nimmt auch die Eisdicke stark ab [1]. Die Polarstern hat in der zentralen Arktis großflächig Eisdicken unter 1 m beobachtet. Bei so dünnem Eis können schon kleine Wetteränderungen zu einer weiteren starken Abnahme der Eisfläche führen. Im Sommer absorbiert der dunkle Ozean wegen des fehlenden hellen Meereises mehr Sonnenstrahlung und erwärmt sich stärker, was zu einer Rückkopplung führt und den Meereisrückgang beschleunigt. Das ist einer der Gründe, warum in der Arktis die Erwärmung bisher doppelt so stark war wie im globalen Mittel.
Das Meereis in der Arktis ist also ein empfindlicher Indikator für den Klimawandel – sozusagen ein „Hot Spot“ der Klimaforschung. Die Veränderungen dort können weitreichende Folgen haben – nicht nur für das Ökosystem von Meereis und Arktischem Ozean, sondern auch für große Teile der nördlichen Hemisphäre, also für Europa, Nordamerika und Sibirien. Das Schmelzen des Meereises kann insbesondere das Wettergeschehen dort stark beeinflussen: Eine geringe Meereisbedeckung im Herbst kann beispielsweise die Westwinddrift in den gemäßigten Breiten der nördlichen Hemisphäre beeinflussen. Infolgedessen ziehen Wettersysteme langsamer, so dass extreme Wetterlagen länger andauern können [3]. Zudem kommt es zu einer Verschiebung von Klimazonen.
Die globale Erwärmung beeinflusst aber nicht nur das Meereis. Weltweit schmelzen die Gletscher, einschließlich der großen Eismassen in Grönland und Teilen der Antarktis, was zu einem Anstieg des Meeresspiegels führt. Dies wird noch im unserem Jahrhundert dramatische Auswirkungen haben – nicht nur auf entfernte Inselstaaten im Pazifik, sondern auch auf die europäischen Küstenregionen. Die Wissenschaft fordert daher konsequentes Handeln, um den menschengemachten Klimawandel auf ein verträgliches Maß zu reduzieren, wie es im 1,5° Ziel des Weltklimarats gefordert wird.
Die DPG dankt dem Fachverband Umweltphysik, insbesondere Christian Melsheimer und Gunnar Spreen vom Institut für Umweltphysik der Universität Bremen, für die wissenschaftliche Beratung.