Darstellung der Corona-Hauptprotease (violett) mit gebundenem Wirkstoff Pelitinib (grün). (Bild: DESY / S. Günther).

Teilchenbeschleuniger gegen Corona – Hilfe bei der Entwicklung von Medikamenten

Ausgabe 57 | April 2021 | „Teilchenbeschleuniger helfen, Medikamente zu entwickeln, die dringend benötigt werden, um Covid-19 in den Griff zu bekommen.“ Lutz Schröter, Präsident der Deutschen Physikalischen Gesellschaft

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  • Kennt man die Struktur des Coronavirus, kann man Medikamente dagegen entwickeln.
  • Über die Struktur der Proteinbausteine des Virus lassen sich dessen Funktionen beeinflussen.
  • Teilchenbeschleuniger sind mächtige Werkzeuge zur Aufklärung der Proteinstrukturen.

Die Entwicklung wirksamer Medikamente und Impfstoffe gegen den SARS-CoV2-Erreger setzt detaillierte Kenntnisse über die Struktur seiner Proteinbausteine voraus. Die Physik liefert mit der Röntgenstrukturanalyse ein leistungsstarkes Verfahren zur Entschlüsselung komplexer Eiweißstrukturen.

Genutzt wird die Beugung von Röntgenstrahlen in Kristallen, für deren Entdeckung schon Max von Laue den Nobelpreis erhalten hat. Zur Untersuchung von Proteinen müssen diese dazu erst so geschickt kristallisiert werden, dass bei diesem Prozess ihre originale Struktur nicht verfälscht wird. Aus dem Beugungsbild hochenergetischer Röntgenstrahlung errechnen nun leistungsstarke Computer ein atomgenaues 3D-Bild des Proteins. Diese Methode hat erstmals zur Entschlüsselung der Struktur von Chlorophyll geführt und ermöglicht heute die Entschlüsselung hochkomplexer Eiweißstrukturen bis hin zu ihrer Funktionsweise in lebenden Organismen. Das gilt auch für die Proteine des SARS-CoV-2-Erregers. Kennt man dessen genaue Struktur, lassen sich charakteristische Punkte finden, an denen Medikamente ansetzen können, um die Vermehrung der Viren zu unterbinden.

Die notwendigen Röntgenstrahlen werden in Großgeräten erzeugt, die oftmals für Grundlagenforschung auf dem Gebiet der kleinsten Materiebausteine entwickelt wurden. Bei der Strukturanalyse von Proteinen finden sie direkte Anwendung zur Entwicklung von Medikamenten. Synchrotronquellen wie BESSY II vom Helmholtz-Zentrum Berlin für Materialien und Energie oder PETRA III vom Deutschen Elektronen-Synchrotron DESY in Hamburg liefern hochbrillantes Röntgenlicht. Die kristallisierten und mit Stickstoff gekühlten Proben werden mit einem Roboterarm in den Röntgenstrahl der Teilchenbeschleuniger gehalten. In einem Detektor entsteht dann ein Beugungsmuster, aus dem sich mit ausgefeilten Algorithmen die 3D-Architektur des Proteins und die Elektronendichte um das Proteinmolekül herum errechnen lassen. Für die Wirkstoffsuche können systematisch viele hunderte Substanzen in wenigen Stunden bis Tagen getestet werden. Das beschleunigt die Entwicklung möglicher Therapeutika deutlich.

Am Berliner BESSY II wurde erstmals die Struktur der Hauptprotease des SARSCoV-2-Virus entschlüsselt – das ist ein Protein, das bei der Vermehrung eine wichtige Rolle spielt. Untersuchungen mit über eintausend Wirkstoff-Fragmenten dienten dazu, aktive Oberflächen der viralen Hauptprotease zu identifizieren und Bindungsmodi zu analysieren.

Bei DESY in Hamburg wurden bereits zugelassene oder sich in der klinischen Erprobung befindliche Wirkstoffe mittels groß angelegter Röntgenscreenings auf eine mögliche Wirksamkeit gegen das SARS-CoV-2-Virus untersucht. Hierzu wurde die Hauptprotease gemeinsam mit fast 6000 verschiedenen Wirkstoffen kristallisiert und an PETRA III untersucht. Bisher wurden sieben Stoffe gefunden, die die Tätigkeit des Proteins hemmen und so die Vermehrung des Virus bremsen. Zwei von ihnen tun das so vielversprechend, dass sie in präklinischen Studien weiter untersucht werden. Ferner wurde eine völlig neue, bis dahin unbekannte Koppelstelle für Wirkstoffe auf der Oberfläche der Hauptprotease entdeckt, die ein Angriffspunkt für Medikamente sein könnte.

Eine Beschleunigung der Suche nach Medikamenten könnten künftig Röntgenlaser wie der European XFEL in Hamburg leisten. Sie können uns dem Ziel der Untersuchung einzelner Proteine ohne aufwändiges Kristallisieren der Proben näherbringen. Das könnte die Medikamentenentwicklung – nicht nur gegen Coronaviren – nochmals deutlich beschleunigen.

 


Die Deutsche Physikalische Gesellschaft dankt dem Helmholtz-Zentrum Berlin für Materialien und Energie und dem Deutschen Elektronen-Synchrotron DESY in Hamburg für die wissenschaftliche Beratung.