Versuchsaufbau

100 Jahre Stern-Gerlach-Experiment

Ausgabe 59 | Oktober 2021 | | „Mit ihrem Experiment öffneten Stern und Gerlach ein weiteres bedeutendes Tor zur neuen Welt der Quanten. Die Quantenphysik erlaubt präziseste Vorhersagen, auch wenn sie der täglichen Erfahrung oft zuwiderzulaufen scheint. Ohne sie gäbe es aber weder Smartphones noch GPS-Navigation oder Laser.“ - Lutz Schröter, Präsident der Deutschen Physikalischen Gesellschaft

Download: Physikkonkret 59 - 100 Jahre Stern-Gerlach-Experiment [PDF]

  • 59-2021_PK_Stern-Gerlach.png
    59-2021_PK_Stern-Gerlach.png
    Kaum ein Physikexperiment der vergangenen 200 Jahre hat einen so großen Einfluss auf die Wissenschaften gehabt, wie das Stern-Gerlach-Experiment 1.
  • Es ist eines der experimentellen Fundamente der modernen Quantenphysik und der modernen Quantentechnologien und hat im letzten Jahrhundert für gewaltige Veränderungen in der physikalischen Grundlagenwissenschaft sowie der Technologie gesorgt.

 

Mit der von Otto Stern 1919 entwickelten Molekularstrahlmethode2 gelang es Walther Gerlach und Otto Stern 1922 in Frankfurt am Main ein Impulsmessgerät zu bauen, das trotz seiner geringen Ausmaße (es war nur ca. 10 cm lang) eine extrem hohe transversale1 Impulsauflösung erreichte. Mit diesem hochauflösenden Spektrometer konnten sie sozusagen in das Innere von Atomen und später mit einer verbesserten Version sogar in deren Kerne hineinschauen und so z. B. deren magnetische Eigenschaften vermessen.

Das Prinzip dieses Spektrometers ist genial einfach: Man lässt einzelne Atome oder Moleküle, die man in einer Ofenquelle erzeugt, im Vakuum fliegen. Mit Hilfe von Blenden wird ein extrem feiner Strahl erzeugt, in dem alle Atome oder Moleküle in die gleiche Richtung sausen. Anschließend lenkt ein inhomogenes Magnetfeld die Teilchen ab. Den Ablenkwinkel konnten Gerlach und Stern auf 1/100 Grad genau bestimmen. Auf diese Weise gelang es ihnen, das magnetische Moment von Silber-Atomen genauestens zu messen. Damit konnten sie zeigen, dass die magnetischen Momente der Atome und damit der innere Drehimpuls der Elektronenbewegung – wie von Max Planck, Niels Bohr, Arnold Sommerfeld und anderen vorausgesagt – in Einheiten der Planckkonstante ħ quantisiert ist und sich magnetische Atome im äußeren Magnetfeld wie von „Geisterhand“ in diskrete Winkel ausrichten.

Damit haben sie erstmals gezeigt, dass die Bewegungsgesetze der Elektronen in Atomen nicht mit den Gesetzen der klassischen Physik erklärbar sind, sondern dem „gesunden Menschenverstand“ widersprechen. Sie wiesen zudem nach, dass es entgegen den Gesetzen der klassischen Physik halbzahlige Drehimpulse gibt, die dem Elektroneneigenspin zuzuordnen sind. Mit ihrem Versuch konnten sie darüber hinaus erstmals 100%ig „Spin-polarisierte“ Strahlen erzeugen. Stern konnte später in Hamburg mit dieser Methode die innere Struktur des Protons und des Deuterons erforschen.

Beide Physiker wurden mehrfach für den Nobelpreis vorgeschlagen3, darunter auch von Albert Einstein. Stern erhielt ihn für das Jahr 1943; Gerlach hingegen ging leer aus, obwohl er in der Nobellaudatio wie Stern gewürdigt wurde.

Die von Stern und Gerlach benutzte Molekularstrahlmethode wurde in den folgenden Jahrzehnten zu einer der wichtigsten Untersuchungsmethoden der Physik, Chemie und anderen Wissenschaften. Um die 45 weitere Nobelpreise für Physik oder Chemie basieren auf den Erkenntnissen von Stern und Gerlach4 – darunter die für Isidor Rabi, Felix Bloch, Edward Mills Purcell und Richard Ernst, die das Kernspinresonanzverfahren entwickelten, für Charles Townes, der den ersten Maser baute, aus dem dann der Laser hervorging, sowie für Norman Ramsey, William Daniel Phillips und Theo Hänsch, die Techniken für die Atomuhr entwickelten, die die Grundlage aller heutigen Präzisionsmessungen in Industrie und Navigationstechniken (GPS) ist.

 


Fußnoten

  1. O. Stern, Eine direkte Messung der thermischen Molekulargeschwindigkeit. Zeitschrift für Physik, 2, 49-56 (1920)) sowie O. Stern, Eine direkte Messung der thermischen Molekulargeschwindigkeit, Physik. Z., 21, 582-582 (1920)

  2. W. Gerlach and O. Stern, Der experimentelle Nachweis der Richtungsquantelung im Magnetfeld. Zeitschrift für Physik, 9, 349 - 352 (1922) und W. Gerlach und O. Stern, Über die Richtungsquantelung im Magnetfeld. Ann. Physik, 74, 673-699 (1924)

  3. Center for History of Science, The Royal Swedish Academy of Sciences, Box 50005, SE-104 05 Stockholm, Sweden, https://centrum.kva.se/en/startsida

  4. D. Kleppner, Our Enduring Legacy from Otto Stern. in Molecular Beams in Physics and Chemistry , ed. by B. Friedrich and H. Schmidt-Böcking (Springer International Publishing, 2021), pp. 97-117

Literatur

Molecular Beams in Physics and Chemistry
From Otto Stern's Pioneering Exploits to Present-Day Feats
(Open Access)

Stern and Gerlach: How a Bad Cigar Helped Reorient Atomic Physics
The history of the Stern–Gerlach experiment reveals how persistence, accident, and luck can sometimes combine in just the right ways.

 

Die Deutsche Physikalische Gesellschaft dankt ihrem Autor Horst Schmidt-Böcking vom Institut für Kernphysik der Universität Frankfurt.