Manabes Klimamodell

Komplexität begreifen – Nobelpreis für Physik 2021

Ausgabe 60 | Dezember 2021 | „Statistischen Physik hilft aktuelle Probleme wie den Klimawandel und die epidemische Ausbreitung von Viren zu verstehen.“ Lutz Schröter, Präsident der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (DPG)

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  • Die Statistische Physik untersucht Phänomene im kollektiven Verhalten vieler Teilchen.
  • Komplexe Prozesse wie der Klimawandel und die epidemische Ausbreitung vieler Viren sind heute durch Methoden der Statistischen Physik beschreibbar.
  • Die Physik-Nobelpreisträger 2021, Syukuro Manabe, Klaus Hasselmann und Giorgio Parisi trugen zum Verständnis komplexer Systeme bei.

Die Komplexität z. B. des Wettergeschehens und des Klimawandels beruhen auf der Wechselwirkung sehr vieler Teilchen in der Atmosphäre und den Meeren der Erde. Während die Eigenschaften einzelner Atome und Moleküle gut verstanden sind, führt erst ihr kollektives Zusammenspiel, mit dem sich die Statistische Physik beschäftigt, zu der ungeheuren Vielfalt von Phänomenen, die uns im täglichen Leben begegnen.

Die Entwicklung der Statistischen Physik im 19. Jh. durch Ludwig Boltzmann und J. Willard Gibbs u. a. war ein gigantischer Schritt zu deren Verständnis. So konnte bereits 1896 Svante Arrhenius den Treibhauseffekt, der uns trotz der Kälte des Alls auf der Erde ein Leben bei moderaten Temperaturen beschert, quantitativ beschreiben und sogar den stetigen Temperaturanstieg durch eine Erhöhung der Konzentration von CO2 -Molekülen (Kohlendioxid) aufgrund der Verbrennung von Holz und Kohle bestimmen.1

Offen blieb aber der statistisch signifikante Nachweis dieses Klimawandels durch meteorologische Messungen des täglich variablen Wetters. Vor allem das rasante Wachstum der Computerrechenleistung seit den 1960er Jahren, ermöglichte es, das komplexe Verhalten vieler Teilchen zu simulieren. Syukuro Manabe gelang es 1969, die Wechselwirkung zwischen Strahlungsbilanz und dem vertikalen Transport der Luftteilchen numerisch zu modellieren2 und damit den Grundstein für die Entwicklung der heute sehr genauen Klimamodelle zu legen.

Der Vergleich von Klimasimulationen mit Beobachtungen erfordert, aus dem räumlich komplexen Verhalten von Wetterdaten das Langzeitverhalten der Atmosphäre zu extrahieren. Klaus Hasselmann schlug 1979 eine Methode aus der räumlichen Statistik und Mustererkennung vor, mit der durch einen multidimensionalen Signifikanztest aus den räumlich verrauschten Daten die langfristigen Signaturen des wandelnden Klimas signifikant bestimmt werden können3, z. B. im Spektrum der Oberflächentemperatur von Meeren4.

Dies wurde zu einem Standardverfahren der Klimatologie, mit dem die menschengemachte Erderwärmung zweifelsfrei nachgewiesen werden konnte. Die DPG warnte deswegen bereits 1985 eindringlich vor einer drohenden Klimakatastrophe.5,6,7

Eine besondere Herausforderung in der Statistischen Physik stellt die langsame Dynamik ungeordneter Systeme dar, wie sie zum Beispiel in der eingefrorenen atomaren Unordnung in (Fenster-)Glas oder in magnetischen (Spin-)Gläsern beobachtet wird.

Giorgio Parisi, Träger der Max-Planck-Medaille 2011 der DPG, entwickelte 1979 eine Theorie wie eine versteckte Ordnung in ungeordneten Systemen beschrieben werden kann8,9, welche inzwischen auf vielfältige komplexe Systeme wie z. B. neuronale Netze, granulare Packungen, turbulente Fluide oder Laser angewendet wird. So ehrt der Nobelpreis 2021 Manabe, Hasselmann und Parisi für ihre Beiträge zum Verständnis komplexer Systeme.

 


Literatur:

1. Svante Arrhenius, On the infl uence of carbonic acid in the air upon the temperature of the ground, Philosophical Magazine and Journal of Science 41(251), 237-276 (April 1896).

2. Syukuro Manabe and Kirk Bryan, Climate Calculations with a Combined Ocean-Atmosphere Model, Journal of Atmos. Sci. 26, 786-789 (Mai 1969).

3. Klaus Hasselmann, On the signal-to-noise problem in atmospheric response studies, S. 251- 259 in D. B. Shaw (Hrsg.), Meteorology over the Tropical Oceans, Royal Meteorological Society, 1979.

4. Klaus Hasselmann, Stochastic climate models, Part 1, Tellus 28(6), 473-485 (1976); Claude Frankignoul and Klaus Hasselmann, Stochastic climate models, Part II. Application to sea-surface temperature anomalies and thermocline variability, Tellus 29, 289-305 (1977).

5. Stellungnahme der DPG, Warnung vor einer drohenden Klimakatastrophe, https://www.dpg-physik.de/ veroeffentlichungen/publikationen/stellungnahmen-der-dpg/klima-energie/warnung-vor-drohenden-weltweiten-klimaaenderungen-durch-den-menschen

6. Gemeinsamer Aufruf der DPG und der DMG, Warnung vor drohenden weltweiten Klimaäderungen durch den Menschen, Phys. Blätter 43(8), 347 (1987).

7. DPG, Machen Menschen das Wetter? Presseinformation zur 36. Physikertagung in Essen vom 27.9. bis 2.10.1971.

8. Giorgio Parisi, Infi nite number of order parameters for spin-glasses, Phys. Rev. Lett. 43, 1754-1756 (1979).

9. Parisi, Order parameter for spin-glasses, Phys. Rev. Lett. 50, 1946-1948 (1983).

 

Die Deutsche Physikalische Gesellschaft dankt den Autoren Klaus Mecke vom Institut für Theoretische Physik der Universität Erlangen-Nürnberg und Roderich Moessner vom Max-Planck-Institut für Physik komplexer Systeme, Dresden.