Eine Attosekunde verhält sich zu einer Sekunde etwa wie eine Sekunde zum Alter des Universums.

Attosekundenphysik: Untersuchungen in Zeitlupe

Ausgabe 69 | Dezember 2023 | „Die geheimnisvolle Welt der ultraschnellen Elektronendynamik wird erstmals sichtbar – Überraschungen sind nicht ausgeschlossen!“ - Joachim Ullrich (DPG-Präsident)

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  • Der Physiknobelpreis 2023 würdigt die Arbeiten von Anne L´Huillier, Pierre Agostini und Ferenc Krausz auf dem Gebiet der Attosekundenphysik.
  • Attosekunden-Lichtpulse werden außerhalb des sichtbaren Spektrums im extrem ultravioletten und im Röntgen-Bereich durch starke Laser erzeugt.
  • Ihre Pulsdauer ist so kurz, dass man das Verhalten von Elektronen in Gasen, Molekülen und Festkörpern verfolgen kann.
  • Dies erlaubt es, Abläufe in Solarzellen, photokatalytischen Energiegewinnungssystemen oder biologischen Mechanismen besser zu verstehen.

Die Bewegung von Elektronen in Atomen oder Molekülen findet auf der Attosekunden-Zeitskala statt. Eine Attosekunde dauert 10-18 Sekunden, verhält sich also zu einer Sekunde etwa wie eine Sekunde zum Alter des Universums. Solche extrem schnellen Prozesse, wie z. B.  Übergänge von Elektronen, spielen eine große Rolle in der Energiegewinnung bzw. –umwandlung, beispielsweise in Solarzellen oder bei der Erzeugung von Treibstoff durch Sonnenlicht. Um diese Reaktionen besser zu verstehen, muss man sie zeitlich auflösen, d. h. in Zeitlupe betrachten. Dafür benötigt man Lichtpulse, die ähnlich kurz sind, wie die zu messenden Prozesse. Man kann das mit der Belichtungszeit in einem Fotoapparat vergleichen: Um von einem sehr schnell bewegten Objekt ein scharfes Foto zu machen, darf der Verschluss der Kamera nur sehr kurz geöffnet sein.

Kommerzielle Lasersysteme im sichtbaren oder infraroten Spektralbereich liefern hochintensive Lichtpulse, allerdings mit Pulsdauern von noch etlichen Femtosekunden (10-15 Sekunden). In diesem Spektralbereich können die Pulse nicht kürzer werden, da das elektromagnetische Feld mindestens einmal oszillieren muss, damit sich solch ein Lichtpuls ausbreiten kann. Die Periodendauer stellt damit eine Untergrenze für die Dauer von Lichtpulsen dar. Um in den Attosekundenbereich vorzudringen, muss man Lichtpulse mit kürzerer Wellenlänge erzeugen: Im extremen Ultraviolett (XUV) oder Röntgen-Bereich. Dies gelingt durch Frequenzvervielfachung von intensiven Laserpulsen, die High-order Harmonic Generation (HHG). Sie wurde von Anne L´Huillier und Kollegen vor 30 Jahren demonstriert [1] und nun mit dem Physiknobelpreis honoriert. Hochintensive Laserpulse werden auf Gasatome geschossen und setzen dadurch Elektronen frei. Diese werden durch das elektrische Feld des Laserpulses zunächst vom „Mutteratom“ weggetrieben und dann wieder zurückbeschleunigt. Trifft das Elektron wieder auf „sein“ Atom und bleibt daran „haften“, wird die gesamte Bewegungsenergie des Elektrons in Form von Photonen, also Licht, freigesetzt. Es entsteht ein Spektrum von ungeradzahligen Vielfachen der Frequenz des ursprünglichen Laserpulses („Treiberpuls“), sogenannte „Harmonische“, das bis in den XUV-Bereich reicht.

Das Spektrum der Lichtpulse spiegelt auch Ihre zeitliche Struktur wider. Im Fall eines Spektrums mit vielen einzelnen Harmonischen ist die zeitliche Struktur der Pulse periodisch, es liegen Pulszüge aus einzelnen Attosekundenpulsen vor. Dies sind XUV-Pulse mit einer Dauer von wenigen Hundert Attosekunden und einem zeitlichen Abstand von etwas mehr als einer Femtosekunde. Diese Messungen führte die Gruppe von Pierre Agostini durch [2] und begründete so seinen Beitrag am Physiknobelpreis.

Für das Ausmessen von schnellen Abläufen ist es vorteilhaft, keinen Pulszug sondern Einzelpulse zur Verfügung zu haben. Mit ihnen kann man eine Reaktion anstoßen (anregen) und zu späteren Zeitpunkten abtasten (abfragen), wie wenn man Bilder zu unterschiedlichen Zeitpunkten aufnimmt und zu einem Film zusammenfügt. Attosekunden-Einzelpulse erhält man nur, wenn die Treiberpulse knapp mehr als einen Oszillationszyklus des elektrischen Feldes umfassen und die Wellenform des Feldes genau definiert ist.  In diesem Fall erfolgt bei der HHG die Emission der höchstenergetischen Photonen nicht periodisch, sondern nur einmal während der Dauer des Treiberpulses. Filtert man diese höchstenergetischen Photonen heraus, erhält man einen Attosekunden-Einzelpuls. Anfang des Jahrtausends wurden in einem Anrege-/Abfrage-Experiment Elektronen durch Attosekunden-Einzelpulse freigesetzt (Photoelektronen) und durch das elektrische Feld eines Laserpulses energetisch moduliert [3].  Durch diese sogenannte „Streaking-Messung“ konnten Einzelpulse mit einer Dauer von 650 Attosekunden demonstriert werden, wofür Ferenc Krausz den Physiknobelpreis erhielt.

Seit damals sind viele Phänomene auf der Attosekunden-Zeitskala gemessen worden, u. a. die Dauer, die ein Elektron nach Absorption eines Photons benötigt, um das Atom zu verlassen [4]. Für die Erklärung dieses Photoelektrischen Effekts hat Einstein vor 100 Jahren den Nobelpreis bekommen. Der Erforschung der Elektronendynamik in Festkörpern wurde vom Nobelpreiskomitee im Jahre 2023 besondere Wichtigkeit zugemessen. Sie wird helfen, im Bereich der Energieumwandlung, der Biophysik oder der Informationsübermittlung Fortschritte zu erzielen.

 


Quellen und Fußnoten

1. L’Huillier & Balcou, Physical Review Letters 70, 774 (1993)
2. Paul, al. & Agostini, Science 292, 1689 (2001)
3. Hentschel*, Kienberger*, et al. & Krausz, Nature 414, 509 (2001)
4. Ossiander, al. & Kienberger, Nature 561, 374 (2018)

Bildquellen

Beamline: © Reinhard Kienberger
Attosekunde: © Reinhard Kienberger und Grafik: DPG/Carstensen