Europa und die Zukunft der Quantenwissenschaft
Gemeinsame Deklaration der Europäischen Physikalischen Gesellschaft mit zwölf nationalen physikalischen Fachgesellschaften, darunter auch die Deutsche Physikalische Gesellschaft.
⇒ Originalversion der Deklaration: "Europe and the Future of Quantum Science" (PDF, englisch)
Mit dem Jahr 2025 feiern wir 100 Jahre der grundlegenden Formulierung der Quantenphysik, einem essentiellen wissenschaftlichen Durchbruch, der die moderne Welt geprägt hat. Im 21. Jahrhundert wird sich die Quantenphysik weiter entwickeln und es werden viele neue und überraschende Ergebnisse erwartet. Technologien, die auf diesen Entdeckungen basieren, führen zu Anwendungen, die von großem Nutzen für die Menschheit sein werden.
- Die Quantenwissenschaft ist die Grundlage von Schlüsseltechnologien des 21. Jahrhunderts.
- Das volle Potenzial der Quantenphysik muss erst noch erforscht werden.
- Neue Quantentechnologien werden unser Leben verändern, gesellschaftliche Herausforderungen angehen und den wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Fortschritt vorantreiben.
- Europa befindet sich auf diesem Gebiet in einer starken Position, verfügt über eine etablierte und erfolgreiche Forschungslandschaft und wird bei den künftigen Quantentechnologien eine führende Rolle spielen.
Die grundlegenden Gesetze der Quantenphysik wurden erstmals 1925 in Europa formuliert und beschreiben das Verhalten der kleinsten Bestandteile der Materie, wie Elementarteilchen, Atome und Moleküle. Diese Quantenobjekte verhalten sich im Vergleich zu den Objekten, mit denen wir in unserem täglichen Leben zu tun haben, anders - und oft kontraintuitiv. Die Quantenphysik löste Mitte des letzten Jahrhunderts eine technologische Revolution aus, und jetzt ist eine zweite Quantenrevolution im Gange. Wir nutzen diesen Jahrestag, um die bisherigen bahnbrechenden Entwicklungen der Quantenwissenschaft und -technologie hervorzuheben als auch um die immensen zukünftigen Möglichkeiten aufzuzeigen.
Die erste Quantenrevolution, die auf der Wellennatur der Quantenteilchen und der Existenz von Energie-„Paketen“, den Quanten, beruht, begann Mitte des 20. Jahrhunderts. Diese Revolution führte zur Entwicklung des Standardmodells der Teilchenphysik und vertiefte unser Verständnis von der Entstehung und Entwicklung unseres Universums. Darüber hinaus ermöglichte sie auch die Entwicklung von Geräten und Technologien, die heute aus unserem täglichen Leben nicht wegzudenken sind. Beispiele hierfür sind Laser, Computer und Unterhaltungselektronik (z. B. Mobiltelefone) auf der Grundlage von Halbleitern, LEDs, moderne medizinische Bildgebung und Behandlungen, Positionierung und Navigation (GPS, Galileo usw.), die Neudefinition des Kilogramms, Photovoltaik, Technologien und Methoden für die Klimaforschung und viele andere. Die zweite Quantenrevolution, bei der wir das Quantenverhalten der elementaren Grundbausteine wie Atome oder Photonen vollständig kontrollieren können, begann zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Diese revolutioniert unser Verständnis von Information, Datenverarbeitung, Messung und Materie und führt beispielsweise direkt zu innovativen Methoden für die sichere Kommunikation, Quantensensorik und neuen Quantenmaterialien.
Die Fortschritte in der Quantenwissenschaft beschleunigen sich weiter. Die weltweiten Bemühungen, insbesondere in Europa, unterstreichen die Bedeutung dieses Gebietes, was auch dadurch unterstrichen wird, dass die Vereinten Nationen das Jahr 2025 zum Internationalen Jahr der Quantenwissenschaft und -technologie erklärt haben.
Während einige Anwendungen der Quantenphysik, wie z. B. Atomuhren, schnell von der Forschung in die Praxis übergingen, befinden sich andere, wie z. B. das Quantencomputing, derzeit im Übergang von der Forschung zu kommerziellen Anwendungen.
Auch nach 100 Jahren ist die Quantenphysik immer noch ein Gebiet mit erheblichem ungenutztem Potenzial. Viele grundlegende Fragen sind noch offen, die sowohl unser Verständnis dieses Gebiets als auch seine praktischen Anwendungen betreffen. Dazu gehören die Suche nach einer Quantengravitation, die Frage, ob es eine maximale Größe für Quantensysteme gibt, die Skalierung von Quantencomputern und der klassische Grenzfall der Quantenphysik. Globale Herausforderungen wie sichere Kommunikation, effizientes Energiemanagement, Klimaüberwachung, fortschrittliche Lösungen für das Gesundheitswesen und die Entwicklung neuartiger Arzneimittel können mit Hilfe der Quantenwissenschaft und -technologie neu und effizienter angegangen werden. Dies unterstreicht die transformative gesellschaftliche Wirkung, die die Quantentechnologien erzielen könnten, sowie unsere Verpflichtung, diese verantwortungsvoll zu nutzen.
Jeder kann die überraschenden und faszinierenden Effekte der Quantenphysik erleben. Es ist wichtig, mittels gezielter Öffentlichkeitsarbeit dieses Gebiet in alle Bereiche der Gesellschaft zu bringen. Damit sollen Studierende für das Fachgebiet gewonnen als auch unser Bewusstsein für die gesellschaftlichen Auswirkungen von Quantentechnologien geschärft werden. Die EPS und die nationalen physikalischen Gesellschaften Europas begrüßen und unterstützen Initiativen, die die Neugier und das Interesse an der Quantenwissenschaft und -technologie steigern und unsere Gesellschaften auf die kommenden Veränderungen und Möglichkeiten vorbereiten. Die verschiedenen sich entwickelnden Bildungsprogramme im Bereich Quantenwissenschaft/Ingenieurwesen/Computing in Europa werden zur Zusammenarbeit ermutigt. Wir unterstützen Maßnahmen zur Ausbildung einer neuen Generation von Studenten, die die wissenschaftliche Entwicklung und das industrielle Wachstum fördern.
Wir ermutigen die Schaffung von Netzwerken zwischen akademischen und industriellen Akteuren, von Start-ups bis hin zu Großunternehmen, um die wissenschaftliche und technologische Entwicklung aufbauend auf der zweiten Quantenrevolution zu fördern. Der disruptive Charakter der Quanteninnovation ermöglicht es, dass viele Akteure, von kleinen Unternehmen bis hin zu Großkonzernen, eine entscheidende Rolle spielen können. Wir unterstützen die Schaffung eines integrativen Umfelds für alle Akteure zur Entwicklung und Umsetzung von Innovationen.
Wir begrüßen die deutliche Würdigung der strategischen Bedeutung der Quantentechnologien für die wissenschaftliche und industrielle Wettbewerbsfähigkeit unserer Länder durch die europäischen Entscheidungsträger. Ihre Unterstützung für die Entwicklung von Grundlagenforschung auf Weltklasseniveau in der Quantenwissenschaft und die Schaffung von fruchtbaren Technologie-Ökosystemen in ganz Europa sind der Schlüssel zum Erfolg auf diesem Gebiet.
Unterzeichnende Fachgesellschaften:
- Europäische Physikalische Gesellschaft
- Österreichische Physikalische Gesellschaft
- Dänische Physikalische Gesellschaft
- Französische Physikalische Gesellschaft
- Finnische Physikalische Gesellschaft
- Deutsche Physikalische Gesellschaft
- Institut für Physik (UK & Irland)
- Italienische Physikalische Gesellschaft
- Litauische Physikalische Gesellschaft
- Gesellschaft der Physiker von Mazedonien
- Polnische Physikalische Gesellschaft
- Spanische Königliche Physikalische Gesellschaft
- Schweizerische Physikalische Gesellschaft
Die Erklärung wurde verfasst von:
- Claus Lämmerzahl, ZARM und GOC, Universität Bremen, Deutschland
- Jean-Philippe Brantut, EPFL, Zürich, Schweiz
- Christophe Couteau, Technische Universität Troyes, CNRS, Frankreich
- Anna Di Ciaccio, Universität von Rom Tor Vergata und INFN, Italien
- Elisa Ercolessi, Universität von Bologna, Italien
- Juan José García-Ripoll, Institut für Fundamentalphysik, IFF-CSIC, Spanien
- Mairi Sakellariadou, King's College London, Vereinigtes Königreich
- Karol Zyczkowski, Jagiellonen-Universität, Krakau und Polnische Akademie der Wissenschaften, Warschau, Polen